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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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Wirklichkeit glatt und makellos«, sagte Vannucci. »Wenn du mich fragst, hat sich hier einer schlicht und einfach verliebt.«
    »Das macht das Porträt nur noch schöner«, meinte Verrocchio. »Schon mal versucht, die Liebe so strahlend darzustellen, dass sie einen wie hier geradezu blendet, Meister Vannucci?«
    Leonardo sah Vannucci an, der seinen Blick kurz ausdruckslos erwiderte, bevor er sagte: »Ach, was ist die Liebe denn anderes als eine schlimme Geistesverwirrung?«
    Leonardo nickte. »Ein perfekt vorhersagbarer Kommentar von dir.« Er drehte Vannucci den Rücken zu.
    »Was bildest du dir ein!«, blaffte Vannucci.
    Leonardo ignorierte ihn. An Verrocchio gewandt sagte er: »Ich möchte nicht undankbar erscheinen, aber ich trage mich mit dem Gedanken, demnächst meine eigene Werkstatt aufzumachen, Meister.«
    Verrocchio nickte seufzend. »Das war ja nicht anders zu erwarten. Meine Arbeit ist getan, der Schüler ist besser geworden als sein Lehrer.«
    »So würde ich es nicht ausdrücken. Es ist nur so, dass ich… äh…«
    »Dass du dir nicht mehr reinreden lassen möchtest, stimmt’s?«, ergänzte Verrocchio.
    Leonardo nickte. »Belassen wir es dabei.«
    »Er meint, er sei zu gut für uns, ja!«, sagte Vannucci. »Bei solchen reichen Freunden, die ihn sogar aus dem Gefängnis holen können!«
    Leonardo holte tief Luft. »Gehört Missgunst nicht auch zu den schlimmen Geistesverwirrungen, Meister Vannucci?«
    »An die Arbeit, meine Herren!«, kommandierte Verrocchio, bevor Vannucci etwas entgegnen konnte. »Es gibt viel zu tun, und ihr haltet hier Maulaffen feil!«
    Diesmal suchte Vannucci ganz gegen seine Gewohnheit nicht sein Heil in der Flucht. Er brummte nur etwas Unverständliches, während er an seinen Arbeitsplatz trat.
    Verrocchio schaute ihm kurz mit gefurchter Stirn nach, ehe er Leonardo fragte: »Ich hoffe, du verlässt mich noch nicht gleich? Ich habe einen wichtigen Auftrag in Pistoia, oder eigentlich zwei. Sie wollen für den Dom dort einen großen Kenotaph aus Marmor zum Gedenken an Kardinal Niccolò Fortaguerri und darüber hinaus noch ein Altarbild, das an Donato de’ Medici erinnern soll. Das könnte Lorenzo machen, der ist jetzt so weit. Eventuell anhand einer Vorstudie von dir. Aber den Kenotaph möchte ich mir persönlich vornehmen, und dabei benötige ich deine Hilfe.«
    Leonardo zögerte. »In Pistoia? Ich weiß nicht, ob…«
    »Mit deinem Anteil am Honorar würdest du der Einrichtung einer eigenen Werkstatt schon ein gutes Stück näher kommen. Außerdem…«, Verrocchio dämpfte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, »außerdem halte ich es unter den gegebenen Umständen für gar nicht so schlecht, wenn du eine Weile nicht in Florenz bist.«
    Dieser Gedanke war Leonardo auch gerade gekommen. »Wie weit ist es nach Pistoia?«
    »Weit genug«, antwortete Verrocchio.
    »So siehst du mich also«, stellte Ginevra fest, als Leonardo ihr das Gemälde in ihrem angestammten Raum im Palazzo Medici überreichte. Er hatte die Tafel ins Licht gestellt, und Ginevra betrachtete sie lange und konzentriert.
    Er beobachtete sie von der Seite, doch ihr Gesichtsausdruck verriet nicht viel von dem, was in ihr vorging. »Ich würde empfehlen, es in den ersten Wochen nicht an einem allzu hellen Ort aufzuhängen.«
    »Damit niemand erschrickt?«
    »Nein, damit der Firnis in Ruhe aushärten kann, ohne dass die Farbe leidet.«
    »Ich fand es schon staunenswert, als ich es entstehen sah, aber jetzt, da es vollendet ist…«, Ginevras Stimme hatte einen ungläubigen Ton angenommen. »Sehe ich für alle so aus, oder ist das deine höchstpersönliche Interpretation meines Wesens?«
    »Jeder, der imstande ist, tiefer zu blicken und nicht nur deine makellose Haut wahrzunehmen, wird dich so sehen, Ginevra. Als Inbegriff außergewöhnlicher weiblicher Schönheit.«
    Ohne die Augen von dem Gemälde abzuwenden, sagte Ginevra: »Und dennoch hast du in einem gewissen Moment Abscheu gegen mich empfunden. Oder hofftest du, ich hätte es nicht gemerkt?«
    Leonardo wartete kurz mit seiner Anwort. »Dafür warst aber nicht du die Ursache, Ginevra. Ich dachte, das hättest du verstanden.«
    »Ich habe mich damit abgefunden, das trifft es wohl eher.«
    Ginevra wollte noch etwas hinzufügen, doch in dem Moment trat Ser Roberto di Davillio durch die offen stehende Tür. Er grüßte Ginevra in schon fast übertrieben höfischer Manier, entschuldigte sich für sein unangekündigtes Hereinplatzen und wandte sich dann

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