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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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vom Gang. »Hm, eine zweite Anzeige aus einem tamburo . Natürlich wieder anonym.«
    Leonardo wollte es kaum glauben. »Eine zweite Anzeige, sagen Sie?«
    Der Anwalt nickte. »Und zwar im Zusammenhang mit einem gewissen…«, er hielt erneut eines seiner Papiere ins Licht, »eines gewissen Fioravanti di Domenico, eines jungen männlichen Modells.« Er sah Leonardo forschend an. »Kennen Sie ihn?«
    »Ich kenne den Namen. Vannucci gab mir einen Zettel.«
    »Vannucci?«
    »Meister Pietro Vannucci, er arbeitet wie ich in der Werkstatt von Andrea del Verrocchio.«
    »Sie selbst haben diesen Fioravanti di Domenico also nie gesehen?«
    Leonardo schüttelte den Kopf. »Ich benötige kein männliches Modell.«
    »Haben Sie diesen Zettel mit seinem Namen noch?«
    »Ja, in der bottega . Ich habe meine Tasche nicht bei mir, da man mich ziemlich überfallartig verhaftet hat.«
    Davillio nickte wissend. »Das entspricht dem Stil der Signoria: Der Missetäter soll in Angst und Schrecken versetzt werden, damit er es sich in Zukunft zweimal überlegt, bevor er wieder über die Stränge schlägt. Ich brauche diesen Zettel, damit ich überprüfen kann, ob die Handschrift womöglich dieselbe ist wie die von den Anzeigen.«
    »Vannucci?« Leonardo blickte erst ungläubig, nickte dann aber grimmig. »Das würde mich nicht wundern.«
    »So?«
    »Meister Vannucci ist mir nicht gerade wohlgesinnt…«
    »Hat er denn triftige Gründe dafür?«
    »Der Meinung ist er offenbar schon.«
    »Hm… Sie werden sicher nicht auf Tag und Stunde genau beweisen können, wo Sie in der vergangenen Woche gewesen sind, oder?«
    »Wer kann das schon?«
    »Nur einer, der im Kerker sitzt.«
    »Ich habe mich viel mit Ginevra de’ Benci befasst.«
    Der Anwalt schaute auf. »Befasst? Was muss ich mir darunter vorstellen?«
    »Ich arbeite an ihrem Porträt.«
    »Ach so. Schade.«
    »Schade?«
    »Nun, wenn sie zum Beispiel bezeugen könnte, dass Sie geschlechtlich miteinander verkehren, könnten die Anschuldigungen schon merklich entkräftet… Warum machen Sie denn so ein Gesicht?«
    Leonardo erwiderte unbehaglich: »Ginevra de’ Benci ist eine angesehene Frau.«
    »Tja, wirklich schade.« Als Davillio Leonardos missbilligende Miene sah, fügte er hinzu: »Ich bin Anwalt, Meister da Vinci, und kein Mönch!« Er ordnete seine Papiere. »Zum Glück haben Sie Beziehungen zu einigen hochrangigen Persönlichkeiten, wie ich feststellen konnte. Es dürfte also nicht schwer sein, Sie bis auf weiteres aus diesem Loch hier herauszuholen. Und dann sehen wir weiter. Unterdessen könnte es uns sehr helfen, wenn wir herausbekämen, wer Sie angeschwärzt hat.«
    Leonardo dachte an Vannucci und fühlte, wie die Wut in ihm hochkochte. Der Anwalt schien seine Gedanken zu erraten, denn er sagte warnend: »Sprechen Sie hierüber mit niemandem, Meister da Vinci. Beschaffen Sie mir diesen Zettel, und lassen Sie mich meine Arbeit machen.« Er schob seinen Stuhl zurück und erhob sich. »Nur noch etwas Geduld, Sie werden bald nach Hause können.«
    Der Wärter verriegelte sorgsam die Tür hinter Davillio. Er würdigte Leonardo keines Blickes.
    Aber der Anwalt hielt Wort: Kurz nach Mittag wurde Leonardo ohne weitere Erklärung freigelassen.
    Wenige Tage später nahm er Ginevras Porträt ein weiteres Mal mit in die Werkstatt, um es dort zu vervollkommnen. Als er es auf die Staffelei gestellt hatte, kamen alle, vom Schüler bis zum Meister, herbei, um es ungläubig zu bestaunen.
    »Das ist wahrhaftig das schönste Porträt, das ich seit Jahren gesehen habe«, sagte Verrocchio mit unverhohlener Bewunderung. »Ich wusste zwar schon immer, dass ein großer Künstler in dir steckt, aber das hier… Welche Intensität! Diese Präsenz, diese Erhabenheit, und dabei…« Ihm fehlten die Worte, und das kam bei ihm nur sehr selten vor. Schließlich sagte er: »Ich bin stolz darauf, dass du in meiner Werkstatt in die Lehre gegangen bist, Leonardo, auch wenn du dein Talent leider nicht von mir bekommen hast.«
    »Und ich schätze mich glücklich, dass ich in den Genuss komme, mir etwas von Ihnen abschauen zu dürfen«, sagte Lorenzo di Credi, ein begabter junger Schüler, mit dem Leonardo gerne zusammenarbeitete.
    »Das Bild ist noch nicht ganz fertig«, erklärte Leonardo. »Ich möchte das Gesicht so glatt und makellos machen, wie es in Wirklichkeit ist.« Die ungewohnten Komplimente Verrocchios brachten ihn eher in Verlegenheit, als dass er sich geschmeichelt fühlte.
    »Kein Mensch ist in

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