Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
doch ein sehr fähiger Maler und Bildhauer, nicht?«
»Mein Meister nimmt keine Aufträge an, die ihm nicht zusagen«, erwiderte Paolo an Leonardos statt. »Und das wirkt sich natürlich auf die Finanzlage aus.«
Leonardo reagierte säuerlich: »Hast du nichts anderes zu tun, als dich ständig einzumischen?«
Paolo verzog sich mit beleidigter Miene.
»Man sollte von einem Gesellen größeren Respekt vor seinem Meister erwarten«, sagte Zoroastro.
»Und von einem Neuling weniger indiskrete Fragen.«
»Oh, ich bitte um Verzeihung, Meister da Vinci, ich vergesse bisweilen meine Position.«
»Wie auch Paolo«, sagte Leonardo. »Und deshalb befürchte ich das Schlimmste, wenn ich euch beide hier nebeneinander habe.« Nachdenklich betrachtete er sein Gegenüber. »Wenn ich es recht verstanden habe, bist du also mit dem Stadtherrn bekannt?«
»So könnte man sagen, ja.«
»Hm… Was die Kost anbelangt: Unter meinem Dach wird kein Fleisch gegessen, und das hat nichts mit Armut zu tun.«
Zoroastro nickte, als habe er das gewusst. »Dann wird es Sie freuen, dass ich ebenfalls kein Fleisch esse, aus Achtung vor dem Leben. Aus dem gleichen Grund trage ich auch weder Pelz noch Leder.«
»Sieh an, sieh an«, sagte Leonardo mit wachsendem Interesse. »Erzähl mir mehr von den magischen Künsten, die du erwähntest. Kannst du die Zukunft vorhersagen?«
»Ich bin davon überzeugt, dass es ein Leben nach dem Tod gibt.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Wie wichtig ist die Zukunft auf dieser Welt, wenn dich die Ewigkeit erwartet?«
»Ich schätze, man geht lieber auf Nummer sicher und erwartet gar nichts.«
»Sie glauben also nicht an das Jenseits?«
»Warum sollte ich einem Unbekannten eine solche Frage beantworten? Du hast mir noch immer nicht verraten, ob du die Zukunft vorhersagen kannst, sei sie nun wichtig oder nicht.«
»Bis zu einem gewissen Grad.«
»Und das heißt?«
»Wenn ich jemanden in der Kirche fluchen höre, kann ich dieser Person prophezeien, dass sie Unangenehmes erwartet. Und sei es nur, dass der Pfarrer sie hinauswirft.«
Leonardo nickte zustimmend. »Ich habe den Eindruck, dass du eine Bereicherung für unsere Feste sein könntest«, sagte er. Er deutete einladend in eine Ecke der Werkstatt, wo er nach Verrocchios Vorbild sein Büro eingerichtet hatte. »Alchemie ist für mich genau wie die Astrologie nicht viel mehr als Bauernfängerei, und das meist im wahrsten Sinne des Wortes. Aber erzähl mir doch mal etwas von dem, was du über die Metallurgie weißt…«
Zu Leonardos Überraschung verstand Zoroastro es in der Tat schon bald, ihm einen lukrativen Auftrag zu beschaffen. Und zwar bestellte Bernardo Rucellai, der auch dem intellektuellen Kreis um Lorenzo de’ Medici angehörte, ein Bild vom heiligen Hieronymus in der Wüste – ein beliebtes Sujet, an das sich schon viele bekannte Maler herangewagt hatten. Der griechische Gelehrte war nicht nur ein bedeutender Kirchenvater des vierten Jahrhunderts gewesen, sondern wurde unter Künstlern und Intellektuellen vor allem als Symbolfigur für die fruchtbare Verbindung von Glaube und Humanismus betrachtet.
Leonardo nahm die Tafel unverzüglich in Angriff, beließ es dann aber bei einer teilweise nur skizzenhaften Darstellung. Damit gab er der Szene von dem sich mit einem Stein kasteienden Hieronymus, zu dessen Füßen der Löwe liegt, der ihn anschaut, sowohl konkret als auch im übertragenen Sinne eine ganz eigene Färbung.
Für den Hieronymus griff er tief in die Schublade seines anatomischen Wissens, das er unter anderem gesammelt hatte, als er sich seinerzeit eigenhändig an der Sektion einer Leiche hatte beteiligen dürfen. Jede gespannte Sehne im Hals des ausgemergelten Heiligen und jeder Muskel in seinem ausgestreckten rechten Arm waren deutlich sichtbar und für die, die etwas davon verstanden, auch erkennbar. Und der Löwe, wenngleich nur mit einigen gut gewählten Strichen im Umriss abgebildet, strahlte ausgesprochen naturgetreu die Kraft und Eleganz und Geschmeidigkeit aus, die solche katzenhaften Raubtiere auszeichneten. Davon hatte sich Leonardo ja schon einmal bei dem Spektakel auf der Piazza della Signoria überzeugen können.
In einer Öffnung der Eremitenhöhle hinter Hieronymus brachte er eine kleine Skizze von der florentinischen Kirche Santa Maria Novella an, womit er auf die Kirchenvaterschaft des Heiligen verwies, aber auch an Leon Battista Alberti erinnern wollte, der die Fassade dieser Kirche einst im
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