Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Auftrag von Bernardo Rucellai entworfen hatte.
Bernardo Rucellai war so begeistert von der Tafel, dass er fünf fiorini mehr dafür bezahlte als vereinbart.
Von nun an gingen bei Leonardos bottega allmählich immer mehr Aufträge ein. Fünfzig Silberkandelaber für den Palazzo Medici, Stück für Stück von Zoroastro in einer von Leonardo entworfenen Form gegossen. Entwürfe für die Neuanlage der Gärten, die Lorenzo il Magnifico für seine Frau Clarice gekauft hatte. Diverse kleinere und größere Porträts, teils Zeichnungen, teils Ölgemälde. Die unverzichtbaren Allegorien für die Palazzi der Wohlhabenden. Und nebenher zeichnete Leonardo unter anderem an Entwürfen für ein wassergetriebenes Mahlwerk.
Leonardo sah sich genötigt, einen weiteren Lehrling, Atalante, einzustellen, dessen Ausbildung er beschleunigte, damit der ihm möglichst rasch einen Teil der Arbeit abnehmen konnte.
Für den Haushalt hatte Leonardo eine fabelhafte Dienstmagd namens Mathurina gefunden, die aus Mailand stammte. Mathurina war klein, ungefähr genauso breit wie hoch, und ihr Gang hatte etwas von dem einer Ente. Sie trat eher auf wie eine herrische Mutter denn wie eine Dienerin und ließ sich nicht gern etwas vorschreiben. Ihr Mann war Soldat gewesen und bei einem Einsatz verschollen. Böse Zungen behaupteten, er habe ganz einfach das Weite gesucht, um von Mathurina erlöst zu sein. Doch Leonardo schätzte ihre zupackende Art, ihre Verlässlichkeit und ihre tadellose Haushaltsführung. Außerdem liebte sie Ordnung und Sauberkeit im gleichen Maße wie er, das heißt, es war schon fast eine Manie. Was von Zeit zu Zeit für Zusammenstöße zwischen ihr und dem eher nachlässigen Zoroastro sorgte. Aber Leonardo war nur froh, dass er jetzt nicht mehr aus der Haut zu fahren brauchte, wenn der junge Mann wieder einmal sein Bett hinterließ, als hätten sich Krähen darin gezankt, wie Mathurina sich ausdrückte, oder seinen Arbeitsplatz wie eine Höhle, in der ein Schwarm Fledermäuse überwintert hatte – auch das eine ihrer bevorzugten Metaphern.
Mitten in dieser turbulenten Phase bekam Leonardo noch einen weiteren Auftrag, den er zwar hätte ablehnen können, aber nicht ablehnen wollte: Entwurf und Bau der Kulissen für die Uraufführung des Musikdramas La favola di Orfeo von Angelo Poliziano. Die Geschichte von Orpheus, der in die Unterwelt hinabsteigt, um seine geliebte Eurydike zurückzuholen, die nach einem Schlangenbiss ins Totenreich gelangt ist, faszinierte Leonardo außerordentlich. Vor allem, weil der Rettungsversuch paradoxerweise daran scheitert, dass Orpheus’ Liebe zu Eurydike zu groß ist, um Hades’ Bedingung, sich nicht nach ihr umzusehen, erfüllen zu können. So verliert Orpheus seine Eurydike endgültig, und vor Kummer schwört er der Liebe für den Rest seines Lebens ab. Darüber sind die wollüstigen Mänaden derart erzürnt, dass sie ihn zerreißen und mitsamt seiner Leier ins Meer werfen. Seine sterblichen Überreste werden auf der Insel Lesbos angespült, wo man sie beisetzt. Seine Leier aber hängt man an den Sternenhimmel.
Leonardo war, als sei diese dramatische Geschichte seiner eigenen Traumwelt entsprungen. Er konnte sich erstaunlich gut in Orpheus hineinversetzen und dessen Kummer und Ohnmacht nachvollziehen.
Mit für ihn ungewöhnlicher Getriebenheit konzipierte er eine Felsenkulisse, die sich mittels eines raffinierten Mechanismus auseinanderschob und damit den Blick auf einen von Fackeln hellrot erleuchteten Raum in einer Höhle freigab, welcher den Zugang zur Unterwelt darstellen sollte.
Erst als die Kulissen fertig gebaut und bemalt waren, wurde Leonardo bewusst, dass er hier einer Szenerie aus seiner Erinnerung zum zweiten Mal in seinem Leben Gestalt verliehen hatte. Beinahe ehrfürchtig blickte er auf seine eigene Schöpfung: die Grotte am Ufer des Vincio. Nur würde sie diesmal ein Schauspiel bergen, das bei weitem nicht so liebreizend war wie das von Magdalena und ihren Kindern damals. Was ihm seinerzeit vorgekommen war wie ein Blick in den Himmel, war jetzt einer in die Hölle.
Zugleich wurde ihm nun auch endlich klar, woran es seinem Gemälde mit der Szene in der Felsengrotte fehlte, nämlich an der Kraft der Verführung zu einem verbotenen Blick in eine Welt, die dem irdischen Leben verborgen zu bleiben hatte. Jetzt erst begriff er wirklich, dass er das Bild noch einmal ganz von vorn anfangen musste, denn im jetzigen Zustand sagte es so gut wie nichts aus. Er musste ein Bild malen, das
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