Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
der reichen Medici-Gegner zweifellos.« Di Credi schaute sich erneut beunruhigt zu dem Gedränge am Eingang des Doms um, wo nun auch Geschrei laut wurde. »Wir sollten uns besser von hier verziehen, bevor es noch zu Gewalttätigkeiten kommt.«
Leonardo zögerte, denn er hätte gern gewusst, wie es dem Stadtherrn ging. Aber di Credi hatte recht. Es war gefährlich, und man würde ohnehin niemanden in die Nähe von Il Magnifico kommen lassen.
Auf dem Rückweg, sie waren unweit der Piazza della Signoria, wurde plötzlich die große Alarmglocke geläutet. Und dann sahen sie aus mehreren Seitenstraßen Reiter auf den Platz galoppieren. Vorneweg Jacopo de’ Pazzi, Oberhaupt einer der reichsten Florentiner Kaufmannsfamilien.
Fasziniert starrte Leonardo auf den Mann, der sein Pferd in der Mitte des Platzes zum Stehen brachte und mit über den Kopf erhobenem Schwert lauthals »Popolo e libertà!« schrie. »Für Volk und Freiheit.« Einige seiner Männer stürmten zum Palazzo della Signoria, fanden dessen Türen aber verrammelt und verriegelt vor.
Jetzt strömten, durch die Alarmglocke mobilisiert, aus den umliegenden Häusern Massen bewaffneter Bürger auf den Platz. Schreiend und fluchend gingen sie auf die Reiter los. Die sahen sich dermaßen in Unterzahl, dass sie ihr Heil in der Flucht suchten. Damit löste sich der geplante Aufstand in Schall und Rauch auf.
»Es ist schon vorbei«, flüsterte Leonardo, der sich an eine Hauswand gedrückt hatte.
Di Credi nickte. »Komm, wir gehen.«
Leonardo hatte das Gesehene eher gefesselt als beängstigt. Das Bild von dem sich aufbäumenden, wiehernden Pferd Jacopo de’ Pazzis tanzte noch immer vor seinen Augen. Ein wundervolles Bild, fand er, gleich einem vollendeten lebendigen Standbild. Über die politischen Konsequenzen der Ereignisse dachte er nicht eine Sekunde nach.
Er begleitete di Credi noch ein Stück durch das allgemeine Durcheinander rund um den Platz, bis sich ihre Wege trennten.
»Im Dom kann man sich ja seines Lebens nicht mehr sicher sein«, sagte di Credi zum Abschied. »Nachdem sie dort voriges Jahr schon den Herzog von Mailand erstochen haben! Vielleicht sucht man sich besser eine andere Kirche, wenngleich wohl nirgendwo so viele potenzielle Kunden zu treffen sind wie dort.«
Am nächsten Tag erfuhr Leonardo, was genau im Dom passiert war. Giuliano de’ Medici war in der Tat von einem gedungenen Mörder und dessen Handlanger mit nicht weniger als neunzehn Messerstichen getötet worden. Und Lorenzo war von zwei aufständischen Priestern attackiert worden, hatte aber nur eine Schnittwunde am Hals abbekommen, bevor seine Leibwächter ihn in Sicherheit bringen konnten. Er war wohlauf. Die Anstifter des Anschlags, unter anderem der florentinische Adel und der Erzbischof von Pisa, hatten einen Staatsstreich gegen die Medici versucht, aber der war ihnen nicht gelungen.
Die Attentäter verfolgte man mit der üblichen Unerbittlichkeit. Drei der vier Männer wurden sofort ergriffen und unverzüglich gehängt, nachdem man ihnen zuvor noch vor den Augen aller, die es sehen wollten, quälend langsam die Geschlechtsteile abgeschnitten hatte.
Lorenzo de’ Medici selbst präsentierte sich dem Volk mit verbundenem Hals als der große Sieger. In den folgenden Tagen wurden Dutzende Verschwörer an den Fensterkreuzen der Regierungsgebäude an der Piazza della Signoria aufgehängt.
Der vierte Attentäter konnte nach Konstantinopel fliehen, wo er erst geraume Zeit später aufgespürt wurde. Der örtliche Sultan lieferte ihn an Florenz aus, wo er nach langer Folter gehängt wurde.
Bei seiner Hinrichtung war Leonardo anwesend. Mit seinem Skizzenbuch in der Hand schaute er zu, wie der in einen langen blauen Mantel gekleidete Verurteilte mit auf den Rücken gefesselten Händen und Strick um den Hals aus einem Fenster des Bargello geworfen wurde und mit einem kräftigen Ruck auf halbem Wege zum Boden hängenblieb. Er zappelte und wand sich noch eine Weile, bevor er endlich den Geist aufgab.
Leonardo arbeitete immer noch an der detaillierten Wiedergabe des Gehängten, als die Schaulustigen längst alle gegangen waren. Er tat das für Lorenzo de’ Medici, der die Zeichnung bei ihm in Auftrag gegeben und ihm dafür ein Honorar von nicht weniger als dreißig fiorini in Aussicht gestellt hatte. Einen Auftrag von Il Magnifico konnte man schwerlich ablehnen, und das Geld kam gelegen. Aber gerne sollte Leonardo gewiss nicht an diese Arbeit zurückdenken.
Als er zu Ende gezeichnet
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