Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
d’Oggiono vor, Sohn eines Goldschmieds aus nämlichem Ort. Auch seine Familie war vermögend, und wie Boltraffio schien er es für eine Ehre zu halten, mit Leonardo und den de Predis, die sich ihm ebenfalls angeschlossen hatten, zusammenarbeiten zu dürfen. Schon bald bildeten sie alle eine eingeschworene Künstlergemeinschaft, die Außergewöhnliches zu bieten hatte.
Leonardo überließ die Arbeit an den eingehenden Aufträgen vornehmlich seinen Kollegen und Mitarbeitern und beschränkte sich selbst auf kleinere Eingriffe oder Ergänzungen, Details freilich, die oft die Signatur des florentinischen da Vinci trugen – und der fand immer größeren Anklang. Nur wenn ein Kunde ausdrücklich darum bat oder ihm das Thema persönlich am Herzen lag, übernahm Leonardo die Arbeit ganz. Das war natürlich der Fall, als Ludovico Sforza ihn um ein Porträt seiner jungen Mätresse Cecilia Gallerani bat.
Leonardo war ihr schon einmal bei einem Konzert im Castello Sforzesco begegnet, und sie war ihm seltsam bekannt vorgekommen, bis ihm aufging, dass sie in ihrer Schönheit Ginevra de’ Benci ähnelte.
Als sie jetzt in seine bottega kam, hatte er Gelegenheit, sie eingehender zu betrachten. Sie trug das Haar nach der in den höheren Kreisen herrschenden Mode flach am Kopf anliegend und bis unter das Kinn gekämmt, mit einem schmalen Samtband mitten über die Stirn. Um ihren schlanken Hals war eine lange schwarze Perlenkette gewunden. Ihr blaues Seidenkleid hatte aufwendig gearbeitete dunkelrote Ärmel, die aus einer aufspringenden Falte der Schulterpartie hervorschauten.
Sie wirkte femininer und verletzlicher als Ginevra de’ Benci seinerzeit, wie er fand. Und ihre Schönheit war noch ätherischer. Damit schien sie in allem das genaue Gegenteil ihres stämmigen, immer streitlustigen Geliebten zu sein, nicht zuletzt, was ihre helle, zarte Haut betraf, die an Porzellan erinnerte.
Wie schon bei ihrer ersten Begegnung trug sie ein Tier auf dem Arm, das er zunächst für ein Kätzchen gehalten hatte. Aber es war ein Hermelin. Es saß auf ihrem linken Arm und hatte seinen spitzen Kopf an ihren zarten Hals gebettet. Ihren verletzlichen Hals, dachte Leonardo, der wusste, wie scharf die Zähne solcher Wiesel waren. Aber dieses Exemplar war offenbar sehr zahm. Es schien zu schlafen, denn es rührte sich überhaupt nicht. Nur ein leichtes Auf und Ab seiner hellbraunen Flanke verriet, dass es lebendig war.
Cecilia Gallerani musste also angenehm riechen, denn Hermeline galten als ausgesprochen reinlich und machten angeblich einen weiten Bogen um alles, was ihr empfindliches Näschen beleidigte. Es ging die Mär, dass sie sich lieber töten ließen, als Zuflucht in einem schmutzigen Erdloch zu suchen.
»Wenn Sie kein Künstler wären, würde ich mir verbitten, so unverschämt angegafft zu werden«, bemerkte Cecilia Gallerani mit leisem Lächeln.
»Das geschieht unter rein ästhetischen Aspekten«, erwiderte Leonardo. »Die Natur schafft Kunstwerke, wie kein Sterblicher sie je erreichen könnte. Und Sie sind so ein Kunstwerk der Natur. Das stimmt einen Künstler demütig.«
»Hm, Sie sind offenbar nicht nur Maler, sondern auch Poet, oder wie soll ich es nennen?«
»Ich verstehe mich auf vieles, ohne dabei freilich ein aufsehenerregend hohes Niveau zu erreichen.«
»Ich glaube, es ist nicht an Ihnen, das zu beurteilen. Allein die Virtuosität, mit der Sie die Lira spielen…«
Cecilia Gallerani streichelte ihrem Hermelin über den Rücken. Dabei wand sich das schlanke Tierchen wohlig. »Wissen Sie, Meister da Vinci, es mag sich vielleicht seltsam anhören, aber für mich klingt übertriebene Bescheidenheit manchmal sehr nach Arroganz.«
»Was wiederum dafür spricht, dass ich nichts wirklich gut kann.«
»Und dann steigert sich diese Arroganz auch noch ins Aufreizende.«
»Es tut mir leid, dass ich Sie verärgere. Das war gewiss nicht meine Absicht.«
Cecilia Gallerani nickte seufzend. »Ludovico hatte mich schon darauf vorbereitet, dass Sie nicht so auf Frauen reagieren, wie man es von einem Mann erwartet.«
In einem separaten Arbeitsraum hatte Ambrogio de Predis bereits die von ihm präparierte kleine Nussbaumtafel für das Porträt auf eine Staffelei gestellt. Und für Cecilia stand ein Stuhl am Fenster.
Leonardo ging zu dem Tisch mit den Malutensilien in einer Ecke des Raums, auf dem praktisch alles bereitstand und -lag, was er benötigen würde. Er griff zu einem Kohlestift und hielt die Spitze ins Licht. Dann trat er
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