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Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci

Titel: Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Vermeulen
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alles mit einkalkuliert. Ein Projekt von dieser Größenordnung würde Euch in der gesamten zivilisierten Welt großes Ansehen eintragen.«
    »Meinst du, das könnte ich noch genießen, wenn ich völlig verarmt bin?«
    »Aber in so einer Stadt könnten sämtliche Gebäude verkauft oder vermietet werden, und das wahrscheinlich für weit mehr Geld als im heutigen Mailand.«
    Il Moro legte die Stirn in Falten. »Willst du etwa damit sagen, Mailand tauge nichts?«
    »Das liegt mir fern. Aber Mailand ist wie alle anderen Städte organisch gewachsen, und das heißt planlos und ohne ein höheres Ziel. Die vielen Toten bei der letzten Pest haben gezeigt, dass…«
    »Bist du jetzt auch schon Mediziner, Meister da Vinci?«
    »Keineswegs«, erwiderte Leonardo, der die meisten Ärzte für aufgeblasene Nichtsnutze mit allzu großem Ego hielt. »Das ist lediglich eine Frage der Technik, des gesunden Menschenverstands und der Extrapolation.«
    »Was war das Letzte?«
    »Extrapolation, Beobachtung der Entwicklungen und deren vorausschauende Übertragung auf die Zukunft.«
    »Hm, ich werde mir das näher ansehen, wenn ich die Zeit dazu habe.« Sforza schob die vor ihm auf dem Schreibtisch liegenden Zeichnungen mit gleichgültiger Gebärde beiseite. »Ich habe dich wegen etwas anderem kommen lassen, etwas, was mir mehr als groß genug erscheint, dass du dein technisches Können daran auslassen kannst.«
    »Das Standbild von Eurem Vater«, riet Leonardo.
    »Das hört sich nicht sehr begeistert an.«
    »Es ist ein gigantisches Unterfangen, Exzellenz.«
    »So eine Stadt zu bauen etwa nicht?«
    »Ein sechs Mann hohes Bronzestandbild hat es noch nie gegeben. Da müssen gänzlich neue Techniken zur Anwendung kommen. Nicht nur beim Guss der Bronze, sondern auch bei der Aufstellung des Standbilds und der Sicherung seiner Standfestigkeit. Denn soweit ich verstanden habe, möchtet Ihr ein sich aufbäumendes Pferd, und das heißt, dass das kolossale Gewicht auf zwei…«
    »Kannst du’s, oder kannst du’s nicht?«
    Leonardo rutschte unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. »Technische Probleme lassen sich lösen, Exzellenz. Das ist vor allem eine Frage der Ausstattung.« Er blickte sein Gegenüber abwartend an.
    »Ich kann dir Räumlichkeiten zur Verfügung stellen und dich mit dem nötigen Material und den gewünschten Werkzeugen ausrüsten.«
    Leonardo zwang sich, gelassen zu bleiben, obwohl seine Aufregung darüber, dass er diesen schier übermenschlichen Auftrag tatsächlich bekam, kaum noch zu bezähmen war. »Euer Vertrauen in mein Können ehrt mich außerordentlich, Exzellenz.«
    »Hoffen wir, dass du dich seiner würdig erweist«, entgegnete Sforza mit drohendem Unterton.
    Pferde in jeder erdenklichen Haltung, mit und ohne Reiter auf dem Rücken. Während Leonardo nach Hause zurückkehrte, rasten unzählige Skizzen und Zeichnungen, die er diesem Thema bereits gewidmet hatte, an seinem geistigen Auge vorüber. Aber jetzt würde er sich der ungemein vertrackten technischen Seite des Auftrags zuwenden müssen. Allein schon der Entwurf und der Bau der Gussformen, die dem gewaltigen Druck der flüssigen Kupfermassen und deren hohen Temperaturen standhalten mussten, damit die Figur unversehrt daraus hervorkam, waren Aufgaben, die Jahre in Anspruch nehmen konnten. Und wie sollte man es bewerkstelligen, dass das Reitermonument sicher auf nur zwei schlanken Hinterläufen stand, wo sich Il Moro doch ein steigendes Pferd wünschte…
    Leonardo blieb mitten auf der Straße stehen, ohne auf die vielen Passanten zu achten, die sich irritiert nach ihm umdrehten. Er könnte die Vorderläufe des Pferdes auf einem gefallenen Soldaten ruhen lassen, dachte er. Oder zumindest einen Vorderlauf, das würde vielleicht schon ausreichen, um dem Ganzen die nötige Stabilität zu geben, ohne dass es zu sehr an Ausdruckskraft einbüßte. Er würde eine entsprechende Skizze machen, um dem Regenten diesen Einfall zu unterbreiten. Oder doch besser nicht und einfach machen, was er für richtig hielt…
    Als er bei seiner Werkstatt angelangt war, ging er schnurstracks in den kleinen Raum, den er sich als Büro eingerichtet hatte, und griff zu Papier und Kohlestift.

16

    Pietro Alamanni, Botschafter von Florenz in Mailand, unterbrach das Diktat seines Schreibens an Lorenzo de’ Medici und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Lies vor, was du jetzt hast«, befahl er seinem Sekretär, der in einer Ecke des Arbeitszimmers über einen kleinen Nussbaumschreibtisch

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