Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
Haus hatte einem kürzlich verstorbenen Bäcker gehört und wurde von dessen Witwe vermietet, die noch ein kleineres Haus besaß, welches sie mit ihren beiden erwachsenen Töchtern bezog.
Mathurina war nicht gerade erfreut über die zusätzliche Arbeit, die der Umzug mit sich brachte, und wie gewöhnlich machte sie auch keinen Hehl aus ihrem Missfallen.
»Ich hörte, dass es Völker geben soll, die ihr Leben lang von einem Ort zum nächsten ziehen«, sagte sie. »Bist du vielleicht auch so einer mit Flöhen im Hintern?«
Leonardo blickte auf ihren breiten Rücken hinunter, während sie sich über eine Kiste beugte, in die sie Bücher legte. »Wie kommt es, dass eine so liebe Frau wie du nie wieder geheiratet hat?«
»Männer nehmen immer Reißaus vor mir. Warum, weiß ich auch nicht. Und was macht ein Mensch mit all diesen Büchern?«
»Geh sorgsam mit ihnen um, sie kosten viel Geld.«
Mathurina hielt kurz inne, um einen der Titel laut abzulesen: » Theologia platonica. Ein normaler Mensch versteht gar nicht, was das heißt. Hat das etwas mit Farbe zu tun?«
»Ich bin dabei, mir das Lateinische beizubringen. Denn ich möchte mir gern das Wissen zunutze machen, das in den Büchern steht, und die wichtigsten Werke gibt es bisher fast nur auf Lateinisch.«
»Ach?« Mathurina sah Leonardo kurz an. »Aber du bist doch zur Schule gegangen!«
»Nicht lange und nicht oft genug. Ich wollte nur das lernen, was mich damals gerade interessierte.«
»Und das war wohl nicht viel, hm?«
»Treib es nicht zu weit mit deinem Schandmaul, Mathurina!«
»Pfft, wer mich hinauswirft, kommt früher oder später auf Knien gekrochen und fleht mich an wiederzukommen. Einer hat dafür sogar schon einen Aushang auf dem Markt gemacht!« Sie fuhr fort, die Bücherkiste zu beladen.
Es gibt Menschen, denen man einfach nicht böse sein kann, dachte Leonardo. Mathurina war so jemand. Manchmal wünschte er sich, sie wäre seine Mutter. Sie konnte zwar schimpfen wie ein Fischweib, aber sie hatte ein großes Herz.
»Warum hast du mich nicht wieder eingestellt, als du noch im Castello wohntest? War ich dir für dort etwa nicht gut genug?«
»Im Schloss wurde ich von lieben, jungen Mädchen umsorgt und bedient.«
»Ein liebes, junges Mädchen war ich auch einmal, vor langer Zeit. Aber auf die Dauer war das nichts für mich.«
»Hast du Kinder, Mathurina?« Das hatte er sie seltsamerweise noch nie gefragt.
»Ich hatte ein Söhnchen, aber dem hab ich den Hals umgedreht, weil es so viel geschrien hat.« Sie setzte ein so teuflisches Grinsen auf, dass einem angst werden konnte. Aber gleich darauf wurde sie wieder ernst. »Ich hatte einen Sohn, ja, aber den hat mir mein elendiger Mann gestohlen, als er fortging.« Sie warf das letzte Buch mit solcher Wucht in die Kiste, dass Staub daraus aufwirbelte.
»Entschuldige, ich wollte nicht indiskret sein.«
»Ich bin es nur nicht gewohnt, dass sich Brotherren auch noch für etwas anderes interessieren als dafür, ob man genug tut für ihr Geld. Soll ich alles in den Wagen stellen?«
»Äh… ja, gern.« Leonardo war mit seinen Gedanken schon beim Abschied von dem Haus, das während der Pest seine Zuflucht gewesen war. Es hatte nichts Besonderes an sich, war zu klein und zu kahl und zu ungemütlich, aber er hatte sich hier verkriechen können wie ein Kaninchen in seinem Bau, und der Schwarze Tod war an ihm vorübergegangen. Da verdiente es einen Moment der Kontemplation.
Er machte eine letzte Runde durch alle Räume und schloss auch den Dachboden und den Keller und den kleinen Garten mit ein – ein ritueller Abschied unter dem Vorwand, dass er nachsehen wolle, ob sie auch nichts vergessen hatten.
Sie hatten nichts vergessen.
Die Kunde, dass der Florentiner Leonardo da Vinci in Mailand eine eigene bottega aufgemacht hatte, musste sich wie ein Lauffeuer verbreitet haben, denn schon bald wurden potenzielle Mitarbeiter vorstellig. So zum Beispiel der gerade zwanzigjährige Meister Giovanni Antonio Boltraffio. Er stammte aus einer reichen Familie und verkündete gleich, dass er aus Leidenschaft male und nicht zum Broterwerb. Wie Leonardo war er ein uneheliches Kind, was auf Anhieb ein Band zwischen ihnen schuf. Und seinen Arbeiten war etwas Feinsinniges, ja Poetisches zu eigen, das Leonardo besonders gut gefiel. So zögerte er denn auch nicht, Boltraffio einzustellen. Zumal von einer Entlohnung zunächst überhaupt keine Rede war.
Nur wenige Tage nach Boltraffio stellte sich ein gewisser Marco
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