Der Maler des Verborgenen: Roman über Leonardo da Vinci
gebeugt mit Feder auf Papier geschrieben hatte.
…Bekanntlich hegt Ludovico il Moro seit langem den Wunsch, ein Reiterstandbild zum Gedenken an seinen Vater, Herzog Francesco, errichten zu lassen. Der Herzog soll in voller Rüstung auf einem sich aufbäumenden Pferd dargestellt werden. Das Standbild soll gut vierzehn braccia hoch sein und das Monument damit das imposanteste, das jemals in Europa zu sehen war.
Seine Exzellenz hat den Auftrag für dieses Standbild nun dem Euch bekannten Florentiner Meister Leonardo da Vinci erteilt. Diesem Meister wird freilich nachgesagt, dass er sich nicht immer nach Gebühr an Vereinbarungen hält. Sein Können steht außer Frage, doch da er, wie soll ich sagen, einem gewissen Wankelmut unterliegt, lässt er seine Arbeit bisweilen unvollendet liegen. Da Ludovico il Moro von dieser schlechten Eigenschaft weiß, hegt er gewisse Bedenken hinsichtlich des Fortgangs der Arbeiten und hat mich deshalb gebeten, das Gesuch an Euch zu richten, Ihr möchtet einen oder zwei weitere Florentiner Meister nach Mailand entsenden, die gleichfalls fähig wären, derlei Arbeiten auszuführen, und Meister da Vinci gegebenenfalls bei diesem Auftrag unterstützen könnten und wollten…
Der Sekretär schaute auf. »So weit waren wir gekommen, Herr.«
Der Botschafter nickte. »Sorg dafür, dass dieses Schreiben heute noch nach Florenz abgeht. Und kein Wort über dessen Inhalt gegenüber Dritten!«
»Aber natürlich, Herr«, antwortete der Sekretär. Sein leicht pikierter Ton schien dem Botschafter zu entgehen.
»Vierzehn braccia hoch«, murmelte der und schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich…« Er verstummte, und sein Blick wanderte zum Sekretär, als habe er dessen Gegenwart für einen Moment vergessen. Manchmal glaube ich, Machthaber leiden allesamt an einem kranken Hirn, hatte er sagen wollen. Aber derlei vertraute man keinem Untergebenen an. Schon gar nicht einem Untergebenen, den man noch nicht lange in seinen Diensten hatte.
»Ja, Herr?«, fragte der Sekretär nach.
»Datieren, versiegeln und unverzüglich zum Kurier damit«, erwiderte der Botschafter nur.
Und damit verbannte er die größenwahnsinnige Idee von Ludovico Sforza aus seinem Kopf.
Wie immer, wenn Il Moro ein Fest gab, füllten Vertreter des Adels, hochrangige Persönlichkeiten und führende Mailänder Künstler den Salon. Anlass war diesmal eine zuvor erfolgte Theateraufführung im Castello. Nicht, dass der Regent einen Anlass gebraucht hätte, er umgab sich jederzeit gern mit Schranzen und Speichelleckern, die er mit Pracht und Prunk an seinem Hof blenden konnte. Dass die Künstler in der Regel aus anderen Gründen kamen, war ihm sehr wohl bewusst. Und da er die Kunst nun einmal liebte, erbarmte er sich ihrer hin und wieder. So kamen sie denn weiterhin in der Hoffnung, irgendwann einmal einen bedeutenden Auftrag zu erhalten.
Leonardo und Zoroastro waren auf dem Fest zugegen, weil sie die Kulissen für die Aufführung entworfen und gebaut hatten. Kulissen mit allerlei mechanisch Bewegbarem und wunderbaren Lichteffekten mittels Öllampen und Fackeln, die für manchen Zuschauer interessanter gewesen waren als die eigentliche Vorstellung.
Zoroastro gab, von einer Gruppe aufmerksamer Zuhörer umringt, selbsterfundene Witze zum Besten. Der Wein floss, wie bei diesen Festen üblich, in Strömen. Die Stimmung war gut.
»Ein Kritiker fragte einst einen großen Maler, wie es denn komme, dass er so hässliche Kinder habe, wo er doch so schöne Bilder mache«, erzählte Zoroastro. »Und wisst ihr, was mein Kollege antwortete?« Er trank einen Schluck von seinem Wein, als wolle er die Spannung erhöhen. »Das kommt daher, sagte mein Kollege, dass ich meine Bilder bei Tag mache und meine Kinder bei Nacht.«
Man spendete ihm Applaus und Gelächter, und zwar deutlich mehr als das Publikum zuvor im Theatersaal.
»Und jetzt einer von meinem Freund Leonardo hier«, fuhr Zoroastro fort. »Der, wie ihr wisst, mit Worten umzugehen versteht. Ein Wunder, dass er nicht Theaterstücke schreibt, anstatt nur die Kulissen dafür zu bauen.« Er wartete, bis alle wieder andächtig lauschten. »Ein Bankier wollte einem Anwalt weismachen, dass er schon mehrere Leben gelebt habe, doch das wollte der Anwalt ihm nicht glauben. Da sagte der Bankier, um seine Behauptung zu untermauern: Ich habe dich sogar schon in einem früheren Leben gekannt, und ich erinnere mich, dass du da ein einfacher Müller warst. Worauf der Anwalt entgegnete: Ach ja, jetzt
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