Der Maler Gottes
zufrieden geben mit dem, was ich hier finde. Raus will ich, raus aus der dumpfen Enge ihres kläglichen Lebens, weg von den verlogenen Regeln und Gesetzen, die für mich keine Gültigkeit haben. Hier ist alles kleinmütig, beschränkt, es erdrückt mich. Ich will über meine Grenzen, über den Horizont. Meine Sehnsucht nach Schönheit, Wahrheit und Größe ist es, die mich wegtreibt. Ich will diese Schönheit finden und sie in meinen Bildern festhalten.
Die Stadt ist zu eng für einen wie mich. Ich will weg, muss fort von hier. Mein Weg führt in die großen Städte, führt zu anderen Meistern, von denen ich noch lernen kann. Nach Frankfurt werde ich gehen. Nach Frankfurt und mir dort einen Meister suchen.
Langsam steht er auf und langsam geht er denselben Weg zurück, den er gekommen ist. Mit wachen Augen betrachtet er jedes einzelne Haus, an dem er vorbeikommt, betrachtet die Holzfassaden, die Erker und die mit Fenstern versehenen Balkone, die im Sommer die engen Gassen beschatten. Er geht über das Kopfsteinpflaster des Marktplatzes, schöpft am Brunnen eine Hand voll Wasser und biegt schließlich in die Gasse ein, in der er wohnt.
Gleich am nächsten Tag, der Vater ist kaum unter der Erde, fällt Johannes die Entscheidung: »Seit Vaters Tod bin ich der Meister der Werkstatt. Ich will dich nicht mehr hier haben. Du musst gehen, Matthias. Räum die Kammer, pack dein Bündel und verschwinde, so schnell es geht.«
Johannes’ Stimme klingt hart. So hart wie seine Worte. In seinen Augen funkeln Neid und Hass. Matthias schweigt.
»Lange genug hast du dich im Lob der Antoniter gesonnt«, spricht Johannes weiter. »Hast ihnen geschmeichelt, dem Präzeptor Honig ums Maul geschmiert. Zeit ist es, dass die Herren sehen, wer der wahre Meister in diesem Hause ist.« Er schlägt mit der Faust auf den Tisch, beugt sich zu dem jüngeren Bruder und zischt, dass Matthias die Speicheltröpfchen ins Gesicht fliegen. »Geh, sage ich dir. Wenn du morgen noch immer an diesem Tisch sitzt, werfe ich dich hinaus.«
Matthias sieht zur Mutter, die bei ihnen sitzt und auf ihre Hände sieht. Er wird gehen, wird dieses Haus und die Werkstatt verlassen. Er wird gehen, weil er selbst es will, weil er es beschlossen hat. Aber nicht so, nicht auf diese Weise möchte er sich von Mutter und Bruder trennen. Er wartet auf ein versöhnliches Wort, auf eine beschwichtigende Geste. Doch vergeblich. Die Mutter sitzt und schweigt.
»Mutter«, sagt Matthias und berührt die Hand der verhärmten Frau. Die Mutter zieht die Hand weg, versteckt sie unter dem Tisch, sieht auch jetzt den jüngsten Sohn nicht an.
»Johannes hat Recht«, flüstert sie. »Es ist besser für uns alle, wenn du gehst. Du passt nicht hierher, gehörst nicht zu uns.«
Dann steht sie auf und schlurft aus der Kammer. Da geht auch Matthias und packt seine wenigen Sachen. Nichts hält ihn mehr in diesem Haus, in dem er nicht wohl gelitten ist.
Am Abend geht er noch einmal zu den Antonitern ins Kloster, um sich vom Präzeptor Jakob Ebelson zu verabschieden.
»Vater Jakob«, sagt Matthias. »Ich danke Euch, dass Ihr mir geholfen habt, den rechten Weg zu finden. Morgen früh werde ich Grünberg verlassen und nach Frankfurt gehen. Wünscht mir Glück, so wie ich Euch Glück und Frieden wünsche.«
»Ich habe geahnt, dass es eines Tages so kommen würde. Vergib deinem Bruder, wenn du kannst«, erwidert der Präzeptor. »Es gibt viele Dinge, die das Herz eines Menschen verhärten lassen.«
Matthias nickt. »Ich trage ihm nichts nach. Jeder muss sehen, wie er zurechtkommt. Mit sich und mit Gott.« Jakob Ebelson geht zu seinem Pult und schreibt für Matthias einen Brief. Es ist ein Empfehlungsschreiben, in dem er die Antoniter in Frankfurt bittet, sich des Jungen anzunehmen und ihm zu helfen, in der großen Stadt Fuß zu fassen und einen neuen Meister zu finden. Er reicht ihm das Pergament: »Gott segne dich und schütze dich, Matthias«, sagt er und schlägt das Kreuz über ihm.
Noch vor dem Morgenläuten bricht Matthias am nächsten Tag auf. Die Mutter hat ihm ein wenig Proviant eingepackt.
»Gott schütze dich, mein Sohn«, murmelt sie, als Matthias über die Schwelle tritt, und drückt ihm noch einige Groschen in die Hand. Es ist alles, was sie hat. Vom Bruder kein Wort, kein Gruß. Sein letzter Weg, bevor Matthias die Stadttore von Grünberg-Neustadt hinter sich lässt, führt ihn auf den Friedhof zum Grab des Vaters. Er hat noch ein Geschenk für ihn, die geschnitzte Figur des
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