Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
Vom Netzwerk:
her, Doch Holbein lässt sich nicht drängen. Wortlos besieht er die Arbeiten, hebt ein Blatt manchmal etwas näher an seine Augen, ein anderes Mal rückt er das Talglicht so, dass die Schatten nicht auf die Zeichnung fallen. Endlich ist er beim letzten Blatt angekommen, bei der Zeichnung von Magdalena. Überrascht zieht er die Augenbrauen hoch, studiert Linie für Linie.
    »Na, was sagt Ihr, Meister Holbein?«, drängt Fyoll ungeduldig.
    »Der Zeichner hat Talent, großes Talent sogar«, erwidert Holbein. »Es scheint ein junger Mann zu sein, der noch um einen eigenen Stil ringt. Eine seltene Begabung, fürwahr. Wer ist er?«
    »Matthias aus Grünberg-Neustadt hat zwei Jahre bei seinem Vater gelernt, bevor er nach Frankfurt gekommen ist«, erklärt Fyoll eifrig. »Er ist wie besessen vom Malen und Zeichnen. So sehr, dass ich seinem Eifer Einhalt gebieten und ihn an das Essen und Schlafen erinnern muss. Ein halbes Jahr erst ist er bei mir und hat zumindest im Zeichnen meine Gesellen schon überflügelt.« Holbein hört mit leicht hochgezogenen Augenbrauen zu, nimmt einen Schluck Landauer aus dem Becher. »Und sonst? Wie ist er sonst?« Fyoll zuckt etwas ratlos die Achseln. »Schweigsam ist er, in sich gekehrt. Er grübelt sehr viel, doch behält er die Gedanken für sich. Wäre er nicht so jung, könnte man fast sagen, etwas eigentümlich Mystisches gehe von ihm aus. Ansonsten ist er ordentlich, fleißig, voller Ehrgeiz, dabei von großer Bescheidenheit und Gott ergeben. Ein braver Junge, aber einer, der die Menschen meidet.« Holbein sieht wieder auf die Zeichnung, sagt mit Bedacht: „Im Moment brauche ich niemanden. Aber wenn Ihr ihn mir ab dem nächsten Frühjahr überlassen wollt, so gebe ich ihn als Gehilfen zu meinem besten Gesellen, zu Jörg Ratgeb.«
    Fyoll strahlt. »Ich danke Euch, Meister Holbein. Mir liegt an Matthias, doch seinen Wissensdurst kann ich nicht allein stillen.«
    Als der Frühling Einzug in Frankfurt hält und mit ihm die ersten Messfremden kommen, ruft Hans Fyoll Matthias zu sich. Der Meister deutet auf Matthias’ Arbeiten, die vor ihm liegen, und sagt: »Es ist Zeit, dass wir uns trennen, mein Junge. Ich kann dir nichts mehr beibringen. Ich habe dich alles gelehrt, was ich weiß. Du kannst von mir nichts mehr lernen.«
    »Meister, Ihr könnt mich noch nicht auf Wanderschaft schicken«, begehrt Matthias auf. »Ich habe kein Gesellenstück gemacht. Meine Ausbildung ist noch nicht zu Ende. Seid Ihr unzufrieden mit mir?«
    Fyoll schüttelt den Kopf. »Nein, mein Junge. Ich schicke dich nicht weg, ich gebe dich weiter, dorthin, wo du mehr lernen kannst als bei mir. Dorthin, wo du ein besseres Gesellenstück malen oder schnitzen kannst als in meiner Werkstatt. Morgen wirst du dich bei Meister Holbein am Dominikanerkloster vorstellen und womöglich als Gehilfe seines besten Gesellen arbeiten.« Freude steigt in Matthias auf, färbt ihm die Wangen rot. Voller Dankbarkeit nimmt er die Hand des Meisters und küsst sie. »Ich werde Euch immer treu ergeben sein, Meister Fyoll«, verspricht er und lässt zu, dass der Meister ihn in seine Arme zieht und ihm auf die Schulter klopft.
    In den zum Kloster gehörenden Werkstätten, in denen allmählich der Altar entsteht, herrscht Betrieb wie auf einem Markt. Unzählige Handwerker der unterschiedlichsten Gewerke sind hier von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang beschäftigt: Tischler, Schreiner, Bauhandwerker, Weißbinder, Färber, Alchimisten, sogar Wasserträger und natürlich Maler und Bildschnitzer, dazu Gehilfen, Lehrlinge und Laufburschen. Zwischen ihnen taucht hin und wieder einmal ein Dominikanermönch in schwarzer Kutte, mit weißem Habit, Schulterkleid und Kapuze auf, das Gewand mit einem einfachen Ledergürtel geschnürt und in den Händen einen Rosenkranz haltend, um nach dem Fortgang der Arbeiten zu sehen und um ein wenig Leben in seinen immer gleichen Klosteralltag zu bringen.
    Mit Jörg Ratgeb versteht Matthias sich auf Anhieb. Obwohl der Geselle zehn Jahre älter ist als Matthias, sprechen sie eine ähnliche Sprache, sind eher Freunde als Gehilfe und Geselle. Stundenlang lauscht Matthias wortlos Ratgebs Erklärungen zu handwerklichen Dingen. Geht es aber um thematische Auseinandersetzungen, um Sichtweisen, dann bricht Matthias sein Schweigen und ist sogar bereit, dem Älteren zaghaft zu widersprechen. »Ihr kommt aus der schwäbischen Schule«, sagt Matthias. »Doch die Mode kommt aus Italien. Ein Maler darf nicht hinter der Zeit

Weitere Kostenlose Bücher