Der Maler Gottes
Frauen, ohne Scham, ohne Gefühl, voller Bitterkeit nur und Hohn. Er sieht eine Hure, die die Verachtung des Betrachters mit noch größerer Geringschätzung straft. Er sieht in Magdalenas Gesicht, hört aus dem offenen Mund ihre schrillen Worte, sieht in ihren Augen die eigene Herabwürdigung – und ist glücklich und befriedigt. Glücklich ist er, weil ihm gelungen ist, was ihm bisher versagt war. Diese Zeichnung ist das Beste, das er je zu Stande gebracht hat. Matthias hat sich selbst übertroffen, ist dem Wunsch nach gestalterischer Perfektion einen Schritt näher gekommen.
Befriedigt ist er, weil er sich mit dieser Zeichnung gerächt hat an ihr. Gerächt für den Verrat, für die Täuschung. All ihre schönen Worte hat sie Lügen gestraft. Hat ihm von Schönheit, Licht und Farben erzählt, und er hat ihr geglaubt. Und heute nun hat er sie gesehen, in der Dunkelheit, in unerträglicher Hässlichkeit und an einem Ort, an dem das Wort Liebe zynisch klingt, einem Ort, der keinen Unterschied kennt zwischen Demut und Demütigung. Er schaut mit Genugtuung auf sein Werk und ist vor Anstrengung so müde, dass er die Zeichnung auf dem Werkstatttisch vergisst und in seine Kammer geht. Als er am nächsten Morgen in die Werkstatt kommt, sieht er die beiden Gesellen die Köpfe zusammenstecken. Sie stehen lachend am Tisch, die Rücken gebeugt. Gebeugt über Matthias’ Zeichnung.
Er stürzt hinzu, reißt dem einen das Blatt aus der Hand, drückt es an die Brust und sagt nachdrücklich und beinahe drohend: »Nehmt die Finger davon. Es ist meine Zeichnung. Sie geht Euch nichts an.« Der ältere Geselle lacht wieder und höhnt: »Hast sie gut getroffen, die Mühlen-Magdalena mit der Narbe.« Er stößt den anderen Gesellen in die Seite und prustet: »Habe gar nicht gewusst, dass du dir eine Hure leisten kannst. Redest kein Wort, trinkst nie, würfelst nie mit uns und hast es trotzdem faustdick hinter den Ohren.« Jetzt schaltet sich auch der andere ein. »Die Magdalena schon. Wer will denn eine mit einer Fratze wie eine Gestalt aus der Hölle? Die Narbe drückt den Preis, die Dirne ist schon mit einem Groschen zufrieden. Froh kann sie sein, wenn überhaupt jemand sie anfasst. Sie lebt nicht umsonst da draußen vor dem Stadttor, wo die Leute nicht wählerisch sein können.«
Matthias steht da, in seinen Augen lodert die Wut wie kochender Teer.
»Halt’s Maul!«, brüllt er. »Halt dein dreckiges Maul, oder ich stopfe es dir. Niemand nennt sie eine Hure. Hörst du? Niemand!«
Er hat nicht vergessen, dass er es war, der sie so gezeichnet hat. Doch er ist der Einzige, der das Recht hat, sie als Hure zu zeigen. Sie gehört zu ihm, niemand kennt sie so wie er. Es ist ein Unterschied, ob er so über sie denkt oder ob irgendwer anders ihre Schande, ihr Doppelgesicht beim Namen nennt. Er will sich auf den Gesellen stürzen, doch im selben Augenblick kommt Fyoll in die Werkstatt und fällt Matthias in den Arm.
»In meiner Werkstatt gibt es keine Händel«, donnert er. »Lasst die Fäuste stecken und tragt euren Zwist am Abend in den Feldern aus.«
Matthias, aufgeschreckt vom Ton des Meisters, den er an ihm nicht kennt, lässt die Fäuste sinken, doch die Wut wühlt noch immer in ihm. Auch der Geselle steht betreten da. Die Zeichnung flattert unbeachtet auf den Boden. »Geh Wasser holen, beim Eimerschleppen kannst du deinen Mut kühlen«, herrscht Fyoll Matthias an, hält noch immer seinen Arm fest und stößt ihn vor sich her. »Du, mach dich an den Seitenflügel des Altars und kümmere dich um den Hintergrund«, bestellt er dem Gesellen. Als Matthias wortlos und mit noch immer brennenden Augen die Werkstatt verlässt, bückt sich Fyoll nach der Zeichnung auf dem Boden, hebt sie auf, betrachtet sie eine ganze Weile, pfeift schließlich durch die Zähne, rollt das Blatt zusammen und geht aus der Werkstatt. Am Abend, noch vor dem Nachtmahl, sieht der ältere Geselle, wie der Meister im Festtagskleid mit einer Zeichenmappe unter dem Arm das Haus verlässt und den Weg zum Dominikanerkloster einschlägt.
6. KAPITEL
Im Gasthaus Zum goldenen Schwan nahe dem Dominikanerkloster sitzen sich Meister Hans Fyoll und Meister Hans Holbein gegenüber. Zwischen ihnen steht ein Krug mit Wein, daneben liegt die Zeichenmappe von Matthias aus Grünberg-Neustadt. Hans Holbein, gerade fünf Jahre älter als Fyoll, betrachtet Blatt für Blatt. Hans Fyoll versucht im Gesicht des Älteren die Gedanken abzulesen und rutscht unruhig auf der Bank hin und
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