Der Maler Gottes
zurückbleiben.«
»Nein, du irrst, Matthias. Es geht nicht um den neuen Stil, es geht um die neue Sicht auf die Menschen, es geht um die Inhalte des Dargestellten. Wie du den Pinsel führst, um einen Menschen zu malen, ist letztendlich gleich.«
»Ihr irrt, Ratgeb. Wenn der neue Stil dazu führt, das Dargestellte lebendiger, farbiger zu machen, dann ist er wichtig, verstärkt die Inhalte noch und macht die neue Sicht deutlicher.«
»Und wie sieht sie aus, deine neue Sicht?«
»Ich weiß es nicht, ich bin noch auf der Suche, aber eines Tages werde ich sie gefunden haben«, erklärt Matthias mit fester Überzeugung.
Sogar Hans Holbein schaut interessiert, als Ratgeb ihm von seinem Gehilfen und dessen Wesensart berichtet: »Der Junge strengt mich an. Fragen über Fragen stellt er und fasst alles so schnell auf, wie ich es noch nie erlebt habe. Doch er fragt nur, spricht nie über sich, führt keine allgemeinen Reden, schwatzt nicht mit den anderen, wirkt fremd und verloren unter ihnen. Für ihn gibt es nichts als das Malen und Schnitzen. Nicht einmal für Weiber, Wein oder Würfelspiel interessiert er sich, geht nie mit uns ins Wirtshaus.«
Holbein lacht, als Ratgeb sich hilflos am Kopf kratzt. »Ihr müsst nicht nur seinen Händen Arbeit geben, auch sein Geist will beschäftigt sein.«
»Sein Geist beschäftigt sich mit Dingen, die mir fremd sind, weil er nichts darüber verrät. Mir scheint gar, würde Matthias mit dem Maul malen, entstünden nichts als zu Farben gewordene Fragen.«
Holbein lacht wieder. »Ruhig, Ratgeb. Matthias ist jung und hat noch nicht viel gesehen, nicht viel erlebt. Wir leben in einer unruhigen Welt, stehen zwischen den Zeiten. Alles ist im Fluss, alles ändert sich. Wie soll sich ein Junger zurechtfinden, wenn selbst die Alten ihren Platz nicht mehr genau kennen? Bindet ihn stärker in den Entstehungsablauf des Altars ein. Er soll lernen, die Traditionen zu achten, besonders bei den Aufträgen der Kirche.«
Ratgeb tut, wie Holbein ihm geraten. Er stellt Matthias den Tischlern zur Seite, die Arbeiten für den Schrein und die Schreinfiguren ausführen. Anschließend lässt er ihn Handlangerdienste bei der Fassung des Mittelteils, der Flügel, der Predella und des Gesprenges ausführen. Ratgeb weiht Matthias in das Geheimnis der Holbeinschen Farben ein.
»Für das finsterste Schwarz brauchst du die Wurzeln uralter Weinstöcke. Sie müssen getrocknet und zu Farbpulver zerrieben werden«, erklärt Ratgeb und weist dann auf einige rotgelbe Fäden.
»Schau, das ist Safran, eines der wertvollsten Gewürze der Welt. Im Süden, in Kastilien, wachsen Pflanzen, Krokusse genannt, deren geröstete Blütennarben diese wertvollen Fäden sind. Wir zerstoßen die Blütennarben in einem Mörser, um eine wundervolle goldgelbe Farbe zu erhalten.«
Ratgeb hält Matthias einen Safranfaden hin und lässt ihn daran riechen. Die richtige Farbe, um Magdalenas Haar zu malen, denkt Matthias und verschlingt jedes Wort Ratgebs, als wäre es nahrhaftes Brot.
Dann zeigt ihm Holbeins Geselle eine Purpurschnecke und erklärt, wie daraus das kostbare, leuchtende Rot für die Heiligengewänder hergestellt wird. Matthias sperrt Augen und Ohren auf, und wenige Wochen später schon mischt er unter Anleitung eines Färbers aus seltenen Spezereien die wundervollsten Farben, als hätte er in seinem ganzen Leben nichts anderes getan, und versucht sich an der Skizzierung einzelner Körperteile.
Eines Tages bleibt Holbein bei seinem Rundgang neben Matthias stehen. »Na«, sagt er, »woran arbeitest du gerade?«
»Ich skizziere«, antwortet Matthias knapp. »Ich zeichne ab, was ich gerade sehe.«
Matthias hält es nicht für nötig, genauer auf sein Tun einzugehen. Seine Arbeiten scheinen ihm nicht von Bedeutung. Gewandstudien, einzelne Ärmel und Hände, immer wieder Hände zeichnet er. Holbein hat dieserlei sicher schon hundert Mal gesehen. Was also soll er sagen? Holbein lächelt. »Du hast Talent, Matthias. Meister Fyoll hatte Recht. Eines Tages wirst du ein großer Meister sein.«
»Eines Tages!«, wiederholt Matthias gleichgültig, und in Gedanken setzt er hinzu: Ja, wenn ich erst so weit bin, die Bilder in meinem Kopf so auf Papier oder Holz zu bannen, dann ist der Tag da, an dem mich die Leute fragen sollen, woran ich arbeitete.
Holbein legt dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter.
»Strebst du denn jetzt schon nach Vollkommenheit?«, fragt er und fügt eine Volksweisheit hinzu, die Matthias schon zu Hause in
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