Der Maler Gottes
Kraft, an Lebendigkeit, an Farbigkeit. Immer weiter malt er an dem Bild, trägt Farbschicht auf Farbschicht, doch alle Versuche sind vergebens. Schließlich sieht er es ein: Seinem Können sind Grenzen gesetzt. Doch Matthias verzweifelt nicht. Auch seine von Gott gegebene Berufung stellt er keinen Augenblick in Frage. Er weiß, dass er den Höhepunkt seines Könnens noch lange nicht erreicht hat, noch nicht erreicht haben kann. Einundzwanzig Jahre ist er gerade alt. Er muss hinaus, muss auf Wanderschaft gehen, in den Werkstätten anderer Meister arbeiten, sein Wissen, seine Fähigkeiten vervollkommnen. Von den Besten seines Faches muss er lernen, sich jedes Geheimnis der Kunst und jeden Handwerkskniff aneignen. Und vielleicht, vielleicht wird er dann eines Tages wirklich das ausdrücken können, was er in seinem Inneren schon dunkel ahnt. Sein Abendmahl ist nur ein erster Schritt, eine Fingerübung, auch wenn Meister Holbein die Arbeit lobt. »Du kannst jetzt schon mehr, als ich in deinem Alter konnte«, gibt er mit leiser Bewunderung in der Stimme zu. »Noch ein paar Jahre, dann kann ich von dir lernen.«
Wenige Wochen danach hält Matthias seinen Gesellenbrief in der Hand. Doch noch kann er nicht auf Wanderschaft gehen. Es ist Herbst, bald wird der Winter kommen, Schnee und Eis werden die Straßen und Wege unpassierbar machen. Meister Hans Holbein plant zusammen mit Jörg Ratgeb und Matthias die Wanderroute.
»Du solltest nach Würzburg gehen in die Werkstatt Tilman Riemenschneiders. Er ist der beste Schnitzer von allen. Von ihm kannst du lernen, deinen Figuren noch mehr Lebendigkeit und Plastizität zu geben. Ich werde ihm einen Brief schreiben und dich für das Frühjahr des nächsten Jahres ankündigen. Von dort aus wanderst du dann nach Kronach in die Werkstatt des Meister Lukas. Vater und Sohn zählen zu den bekanntesten und berühmtesten Malern. Du sollst auch von ihnen lernen und dein neues Wissen über das Schnitzen und Malen in deinen eigenen Werken vereinen.«
Matthias nickt. Die Wanderroute entspricht ganz seinen Wünschen. Er weiß auch, dass er ohne Holbeins Fürsprache wohl keine Möglichkeit hätte, bei diesen großen Meistern zu lernen.
Doch zunächst arbeitet er weiter am Dominikaneraltar. Er ist jetzt Geselle, hat nun selbst einen Gehilfen. Den Gesellenlohn spart er, geizt mit jedem Groschen. Auf der Wanderschaft wird er das Geld brauchen. Als die Fastenmesse 1502 in Frankfurt stattfindet, sind die Antworten aus Würzburg und Kronach längst eingetroffen. Meister Riemenschneider schreibt, dass er sich darauf freut, einen Gesellen Holbeins bei sich aufzunehmen. Sogar einen Platz in der Kolonne der Würzburger Kaufleute, die nach der Messe wieder zurück in ihre Heimatstadt fahren, hat er für Matthias organisiert. Auch der alte Meister Lukas hat geschrieben. Und auch er erwartet Matthias. Sein Sohn, Lukas der Jüngere, wird allerdings nicht anwesend sein. Er wird zu dieser Zeit an einem anderen Ort einen großen Auftrag zur Vollendung bringen.
Ein letztes Mal schlendert Matthias mit Jörg Ratgeb an den Messeständen vorbei. Besonders der Bereich zwischen dem Karmeliterkloster und der Buchgasse, in der die Holzschnitzer, Buchdrucker, Kupferstecher und Buchhändler wie zu jeder Messe ihre Auslagen aufgebaut haben, interessiert sie. Sie gehen von Stand zu Stand, betrachten die zahllosen Bücher und Stiche, lesen hier einen gedruckten Ablasszettel, bestaunen da ein Heiligenbild.
Dann laufen sie weiter über den Kornmarkt zum Römer und von dort zum Liebfrauenberg. »Lass uns zum Goldenen Schwanen gehen«, schlägt Ratgeb vor. »Du hast dort die Abschiedsfeier ausrichten lassen. Meister Fyoll, Holbein und die anderen aus der Werkstatt werden bereits auf uns warten.«
»Geht schon vor, Ratgeb«, erwidert Matthias. »Ich habe noch einen Weg zu erledigen, muss noch Abschied nehmen von jemandem, den Ihr nicht kennt.« Und schneller, als Ratgeb antworten kann, dreht sich Matthias um und läuft dem Mainufer entgegen. An der Brücke am Rande der Uferwiesen stellt er sich in die Nähe eines Gesträuchs, das ihm durch seine Zweige Deckung gibt.
Es dauert nicht lange, da sieht er Magdalena. Schmaler kommt sie ihm vor, schmaler und, ja, erwachsener. Alles Kindliche, Runde ist von ihren Hüften geschmolzen. Einzig das Gesicht zeigt noch die gewohnte großzügige Fläche mit der hohen, gewaltigen Stirn. Lange steht er so, beobachtet sie und hadert mit sich. Soll ich sie anrufen? Was soll ich ihr sagen? Wir
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