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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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beim Netzeflicken. Auch die Torwächter der Friedberger Warte werden beim Zolleintreiben mit weicher Kreide auf Papier gebannt. Sogar einer Hinrichtung am Galgen wohnt Matthias bei. Ganz nahe heran drängelt er sich, damit er das Gesicht dessen, dem der Tod in den nächsten Minuten gewiss ist, studieren kann. Angst sieht er in den Augen des Diebes, der hier steht, weil er einem Adligen die Geldkatze geraubt hat, Angst und Reue. Auch Jesus wusste beim Abendmahl um die wenigen Stunden, die ihm noch blieben. Hatte auch er Angst? Reute den Menschensohn gar das Opfer, für das er auserwählt, zu dem er verdammt war?
    Er betrachtet den Henker, einen kleinen, dicken Mann mit roter Nase und einem gewaltigen Bauch, der wirkt, als könne er keiner Fliege etwas zu Leide tun. Doch in seinen Augen sieht Matthias die Lust am Töten, den Rausch der Macht, die Genugtuung darüber, dass er, der Scharfrichter, der am Rande der Gesellschaft lebt, nun Herr sein darf über Leben und Tod.
    Jetzt zieht der Henker eine schwarze Kapuze über den Kopf, stößt den Verurteilten auf die hölzerne Galgenbühne. Die Schaulustigen davor jubeln begeistert, lärmen und werfen mit wüsten Beschimpfungen nach dem Dieb. Der steht da, die Arme mit groben Stricken auf dem Rücken gefesselt, das Gesicht zu einer Grimasse des Entsetzens verzerrt. Als der Gehilfe des Todes ihm den Galgenstrick um den Hals legt, schließt er die Augen, sein Mund öffnet sich zu einem Schrei, der im Lärm der Menge ungehört untergeht. Schon tritt der Henker einen Schritt zurück, der Dieb schüttelt den Kopf, als könne er den Strick abschütteln, sein Mund ist noch immer geöffnet, eine schwarze Höhle, die – als der Scharfrichter endlich sein Amt erfüllt – von der Gewalt des straffen Seils zusammengepresst wird und die Zunge zwischen den Lippen festhält wie in einer Eisenklammer. Einige Augenblicke zappelt der Gehängte im Todeskampf, dann lässt die Spannung nach, die Muskeln erschlaffen, der Körper entleert sich, die Zunge schwillt an, drückt die Kiefer auseinander. Der Henker steht daneben, hat die Arme in die Hüften gestützt und betrachtet zufrieden sein Werk.
    Matthias schaut und schaut, kann die Veränderungen im Gesichtsausdruck des Diebes nicht schnell genug zeichnen, kann die Selbstgerechtigkeit des Henkers nicht rasch genug auf das Papier bannen. Er achtet nicht auf Proportionen, nicht auf Perspektiven, er wirft hastige Striche aufs Blatt, Momentaufnahmen, die das Zucken eines Muskels, eine Grimasse nur, festhalten. Matthias fühlt kein Mitleid mit dem Dieb, keine Verachtung für den Henker, er achtet nicht auf die johlende Menge. Es geht ihm einzig um seine Skizzen. Nur um ihretwillen betrachtet er den Todeskampf des Unbekannten. Er sieht nicht den Menschen, der da zappelnd hängt, er sieht ein Objekt, das er zeichnet, eine lebende Vorlage, ein Modell. Er ist Maler, nichts sonst.
    Unzählige Skizzen fertigt Matthias in den nächsten Tagen und Wochen an, zeichnet Arme, Hände, Gesichter, fallende Gewänder.
    Ratgeb beobachtet das Ringen seines Gehilfen, das Ringen um Wahrhaftigkeit, um Echtheit und Glaubwürdigkeit in der Darstellung. Versteht er nun, was Matthias bei seinem Urteil über den Altar gemeint hat? Sie führen Gespräche, nähern sich einander wieder an, doch über den Holbein’schen Altar fällt nie wieder ein Wort. Ja, Ratgeb hat verstanden. Zumindest zu einem Teil. Er tröstet den Jüngeren, als er dessen Unzufriedenheit bemerkt. »Jesu Größe lässt sich nicht darstellen«, erklärt er wiederholt. »Du willst das Unmögliche, aber du musst dich mit dem begnügen, was dem Menschen möglich ist. Arbeite am Handwerklichen, da mangelt es noch.« Mit ein paar Strichen korrigiert er hier eine Proportion des Armes, dort eine Gewandfalte, vergrößert da einen Schatten, setzt an einer anderen Stelle einen Lichtpunkt, erklärt die Wirkung der Farben zu-und aufeinander. Und Matthias hört zu, verbessert, übermalt, retuschiert, korrigiert, doch zufrieden ist er nicht, denn das Wichtigste fehlt. Immer wieder studiert er seine Arbeitsskizzen, versucht den Gesichtsausdruck des Sterbenden am Galgen in das Gesicht seines Jesus beim Abendmahl zu bringen, will die Dünkelhaftigkeit des Henkers in Judas zeigen. Er will die Angst, die Trauer darstellen, doch es gelingt ihm nicht, die dämonische Unvermeidlichkeit des bevorstehenden Todes, die vorweggenommenen Schmerzen und den Verrat der Jünger zu zeigen. Es fehlt an Spannung in seinem Abendmahl, an

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