Der Maler Gottes
haben uns vor eineinhalb Jahren im Unfrieden getrennt. Wahrscheinlich hat sie mich schon vergessen. Doch sie war die einzige Frau, die ich in der ganzen Zeit wieder und wieder gezeichnet habe. Und noch immer ist sie die einzige Freundin, die ich je hatte. Schließlich nimmt er all seinen Mut zusammen und tritt aus dem Gebüsch heraus.
»Magdalena«, ruft er leise, als sie in seine Nähe kommt. Das Mädchen dreht sich um.
»Matthias«, erwidert sie, läuft auf ihn zu und streckt ihm beide Hände entgegen. Als Matthias das Strahlen in ihrem Gesicht sieht, weiß er, dass auch sie ihn nicht vergessen hat. Vorsichtig hebt er die Hand und streicht über die Narbe auf ihrer Wange, die wieder von einem Schleier verdeckt wird. Und Magdalena schmiegt ihre Wange für einen kurzen Augenblick in kindlicher Unschuld in seine Hand.
»Matthias, wie schön, dich zu sehen«, sagt sie leise und schaut ihn liebevoll an. »Wie geht es dir?«, fragt er.
Sie lacht, doch es ist kein fröhliches Lachen. »Wie immer. Du siehst es ja. Noch immer lebe ich in der Mühle und komme zu jeder Messe hierher, um ein paar Groschen dazuzuverdienen.«
Matthias nickt. »Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden. Ich bin jetzt Geselle, gehe auf Wanderschaft. Morgen früh schon breche ich auf.«
»Du wirst lange weg sein, nicht wahr?«, fragt Magdalena. »Du wirst erst wiederkommen, wenn du die Farben gefunden hast.«
»Ja, und nur Gott weiß, ob ich überhaupt jemals wiederkomme.«
Er lässt ihre Hand los, greift in die Tasche seines Wamses und holt eine kleine geschnitzte Figur, die heilige Maria Magdalena mit gefalteten Händen, hervor. »Das ist mein Abschiedsgeschenk. Ich habe es für dich gemacht«, sagt er und reicht ihr die Skulptur.
Plötzlich hat Magdalena Tränen in den Augen. Sie nimmt die Figur und streicht zärtlich mit dem Finger darüber. »Ich habe oft an dich gedacht und mir gewünscht, dich noch einmal wiederzusehen. Jetzt bist du da, doch nur, um Abschied zu nehmen.«
Matthias tupft Magdalena behutsam die Tränen von der Wange. »Sei nicht traurig«, bittet er. »Ich werde immer an dich denken, und meine Träume werden sehr oft bei dir sein. Wenn ich eines Tages zurückkehre, wird mich mein erster Weg in die Mühle führen. Das verspreche ich dir.«
Magdalena nickt, und dann sehen die beiden sich für einen langen Moment in die Augen. Matthias spürt sein Herz laut und heftig in seiner Brust schlagen, und in diesem Augenblick fühlt er sich Magdalena sehr nahe. Und Magdalena empfindet dasselbe. Sie können in diesem Moment im anderen den eigenen Abgrund, die eigene Einsamkeit erkennen. Sie müssten erschrecken voreinander, so sehr, dass dieser Schreck nur durch die Liebe geheilt werden kann. Und sie müssten wissen, dass sie aneinander leiden werden.
Matthias sieht es in Magdalenas Augen, hört es aus ihrem Mund, als sie sagt: »Mir ist, als hätten wir beide gerade den Sand am Grunde des Mains berührt.« Matthias zieht sie noch einmal an sich, haucht einen Kuss auf ihre Stirn, flüstert: »Gott schütze dich.« Dann dreht er sich um und geht. In der Höhe der Brücke sieht er sich noch einmal um. Magdalena steht da, hält in der einen Hand die kleine Figur, mit der anderen Hand winkt sie ihm einen Abschiedsgruß nach. Nur einen Atemzug lang sieht er sie so stehen und doch brennt sich ihm dieses Bild unauslöschlich ins Herz.
7. K APITEL
Am nächsten Morgen sitzt Matthias mit klopfendem Herzen hoch oben auf einem Fuhrwerk, rumpelt aus der Stadt heraus durch das Dorf Bornheim, dann geht es über die Mainkur in Richtung Aschaffenburg. Matthias lässt die Landschaft blicklos an sich vorüberziehen und denkt noch einmal an die Abschiedsfeier im Goldenen Schwan und an deren unerquicklichen Ausgang. Er hatte Wein getrunken, einen Becher, und Ratgeb hatte ihm den Becher wieder und wieder füllen wollen, doch Matthias hatte den Wein verweigert und sich den Becher mit Wasser gefüllt.
»Was ist los mit dir, Matthias? Warum trinkst du nicht? Zu einer ordentlichen Verabschiedung vor der Wanderschaft gehört es, dass du mit jedem von uns einen Becher auf unser Handwerk, unsere Kunst und auf die Zukunft leerst.«
»Ich kann nicht, Ratgeb, ich will mich nicht besaufen. Muss meine Sinne beieinander halten.«
»Ach, was! Heute wird nicht mehr gemalt, heute wird gefeiert! Stoß an mit uns und bedenk, dass wir zum letzten Mal so beieinander sitzen.«
»Nein, Ratgeb, lass gut sein. Ich möchte nicht.«
»So!« Matthias bemerkte,
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