Der Maler Gottes
dass Ratgeb allmählich ärgerlich wurde. »Du willst also nicht mit uns trinken? Willst nicht mit uns feiern? Brauchst keinen Segen auf dem Weg von uns?«
»Doch, Ratgeb, ich möchte feiern mit Euch und bin auch froh, dass Ihr meiner Einladung gefolgt seid. Nur saufen, dass mir der Pinsel in der Hand zittert und ich die Linien doppelt sehe, das will ich nicht.« Jetzt war Ratgeb restlos verärgert und der Abend, der festlich werden sollte, schon fast verdorben. Er schlug die Faust auf den Tisch, dass die Becher tanzten, und bellte: »Steck dir deinen Dank sonst wohin. Noch einmal würde ich das nicht tun! Erst lässt du mich auf der Gasse stehen, als sei ich ein Bettler, dann kommst du zu spät, und nun weigerst du dich, mit uns zu trinken! Undankbar, undankbar und hochfahrend bist du! Froh wollen wir sein, wenn du weg bist.«
Die anderen am Tisch schwiegen, sahen betreten in ihre Becher.
Leicht wäre Ratgeb zu beruhigen gewesen, wenn Matthias jetzt von Magdalena erzählt hätte. Wenn er gesagt hätte, dass er sie unbedingt noch heute, am liebsten auf der Stelle, malen wollte, nein, malen musste, weil er Angst hatte, dass ihr Bild in ihm mit jedem Becher Wein an Farbe verlöre. Wenn er gesagt hätte: »In meinem Kopf ist ein Bild, das danach drängt, aufs Papier zu gelangen. Ratgeb, versteht doch, Ihr seid doch auch Maler«, vielleicht wäre dann aller Ärger verflogen gewesen. Doch Matthias schwieg und ertrug das Schweigen am Tisch. Fyoll war es, der beschwichtigen wollte. »Lasst ihn, Ihr wisst doch, er ist besessen von der Malerei. Alles andere ist ihm unwichtig. Wenn einem wie ihm die Seele überfließt, dann fließt sie in den Pinsel, nicht in den Becher.« Nun ergriff auch Holbein das Wort: »Grämt Euch nicht, Ratgeb, Ihr selbst wisst, wie er ist. Er ist Euer Schüler. Ihr kennt ihn, er denkt, dass das Malen das Leben ist. Bei Riemenschneider in Würzburg wird er eine andere Lektion lernen.« Holbein lachte, und die anderen stimmten ein.
Dann wandte sich Holbein direkt und mit vollem Ernst an Matthias: »Und du, mein Junge, solltest lernen, dass du deine Bilder für die Menschen malst. Und das geht nicht ohne sie.« Dann leerten alle ihre Becher und traten, nachdem Matthias, wie es Brauch war, die Zeche beglichen hatte, schweigend den Heimweg an.
Und heute Morgen hätte Matthias um ein Haar die Wagenkolonne der Würzburger Händler verpasst. Erst im letzten Moment, die ersten Wagen hatten sich schon in Bewegung gesetzt, konnte er sein Bündel noch auf das hinterste Fuhrwerk werfen und sich dann selbst heraufschwingen. Jetzt sitzt er da, schützt seine Augen mit der Hand vor den Sonnenstrahlen und wünscht sich im Nachhinein, für Ratgeb noch ein Wort der Versöhnung gefunden zu haben. Neben ihm auf dem Fuhrwerk liegt die neueste Zeichnung von Magdalena. Sie ist ihm gelungen, und allein für diese Zeichnung nimmt er die Verstimmung der anderen gern in Kauf. Trotzdem hat Matthias heute Morgen noch eine kleine Federzeichnung vor Ratgebs Tür gelegt. Hat er auch kein Wort mehr für den Freund und Lehrmeister gehabt, so soll ihm die Zeichnung sagen, was Matthias nicht vermag. Einmal nur, für die Zeit eines Lidschlages, fühlt er sogar Wehmut und ein leises Bedauern. Ein Bedauern darüber, Ratgeb, Fyoll und Holbein, die Meister, von denen er so viel gelernt hat, zu verlassen. Doch die Sehnsucht, das unbändige Verlangen, seine Kunst zur Meisterschaft zu bringen, sie dem Ideal, das er noch nicht genau zu benennen weiß, anzunähern, ist stärker als alle menschlichen Bindungen.
Schon wenige Abende später sitzt er im Hause zum Wolfmannsziechlein des Bildschnitzers und Steinbildhauers Tilman Riemenschneider in der Würzburger Franziskanergasse. Matthias ist beeindruckt vom Reichtum in diesem Hause, von der Pracht, von der Vielzahl der Dienstboten, aber besonders von Tilman Riemenschneider selbst. Ein großer Mann, ein stattlicher Mann, der sich seiner künstlerischen Meisterschaft wohl bewusst ist und den Anschein erweckt, als stünden ihm all die Pracht und all die Macht auch zu.
Zwei Tage hat er Matthias warten lassen auf ein erstes Gespräch. Bei seinem Ankommen hat er ihm nur kurz die Hand gereicht und es seinem Gesellen überlassen, Matthias in das Leben und Arbeiten im Hause Wolfmannsziechlein einzuführen. Riemenschneider ist ein wichtiger Mann, der sich um bedeutendere Dinge als einen Gesellen auf Wanderschaft bekümmern muss. Doch nun hat er Zeit.
»Erzählt, wie geht es in Frankfurt? Was macht
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