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Der Maler Gottes

Der Maler Gottes

Titel: Der Maler Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Thorn
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Kaufherren, Handwerker, Freie und Bauern, aber auch viel fahrendes Volk, gewerbsmäßige Bettler und anderes, wenig erfreuliches Gesindel zieht auf der Handelsstraße Frankfurt – Brescia, einer der Jakobspilgerstraßen, in Richtung Bodensee. Angetan mit dem grauen Pilgerhut und der Muschel daran, dem Wahrzeichen derer, die nach Santiago de Compostela unterwegs sind, dem Umhang und dem Pilgerstab, laufen die Menschen durch staubige Straßen, schlafen in den Pilgerherbergen am Weg und haben während der langen Wanderung genügend Zeit, einander kennen zu lernen. Ein junger Patrizier hat im Rausch einen anderen erstochen, er geht den Pilgerweg, um Buße zu tun. Eine Frau hat ein Kind tot geboren, es als Strafe Gottes verstanden und will ebenfalls ihre Schuld verbüßen. Eine Schar Dominikanermönche geht für die Sünden der Welt den Pilgerweg, und eine junge Frau will in Santiago den Herrn um die Gesundung ihres ebenfalls noch jungen Mannes bitten, der an der Franzosenkrankheit leidet.
    Warum geht Matthias mit in diesem Zug? Will er den Herrn gnädig stimmen, damit ihm in Isenheim Glück bei der Arbeit beschieden ist? Oder geht er mit den frommen Pilgern, weil er um die Schuld weiß, die er Magdalena gegenüber auf sich geladen hat? Zum zweiten Mal hat er nun schon ihr gegenüber ein Versprechen gebrochen. Da hilft auch die Sendung mit Küchengegenständen nichts, die er zur Hochzeit in das Haus des Henkers übersandt hat. Oder geht er, der Menschenscheue, inmitten all dieser Menschen, um sich in Demut zu üben? Will er die Menschen aus nächster Nähe studieren, um sie noch besser malen und schnitzen zu können? Sammelt er auf diesem Pilgerzug Gesichter, Körper, Gesten und Mimiken, um sie später in seinen Bildern festzuhalten? Es ist von allem etwas. Matthias geht zwischen Menschen, mit denen er scheinbar nichts gemein hat, drängt sich des Abends in den Herbergen Leib an Leib mit ihnen, riecht ihren Schweiß, ihre Angst, hört ihre Geschichten und Schicksale. Aber vor allem geht er auf diesem Weg, weil er hofft, inmitten all der Gläubigen Gott näher zu kommen. Er hat die Verklärung auf dem Berge Tabor fertig gestellt, doch er hat sie ohne inneren Antrieb gemalt. Sein Moses, sein Elias schweben nicht in der Himmelswolke, nein, Matthias scheint es, als klebten sie dort. Er hat mit der Verklärung kein Bild gemalt, sondern einen Auftrag ausgeführt. Zwar gibt es am Handwerklichen nichts zu bemängeln, doch er allein weiß, dass nicht sein Inneres ihn zu diesem Aufsatz gedrängt hat. Er hat das Bild um seiner Geldkatze willen gemalt, hat es auch gemalt, weil man einem Jakob Heller keinen Auftrag abschlägt, hat es gemalt, um dem Aschaffenburger Hofleben zu entfliehen. Frei wollte er sein, frei und unabhängig und hat doch nur die eine Abhängigkeit gegen die andere eingetauscht. Und seit Matthias das erkannt hat, kann er Gott nicht mehr spüren. Er hat die Liebe Gottes verloren, hat auch Magdalenas Liebe verloren. Einsam war Matthias schon immer, doch jetzt fühlt er sich nicht nur einsam, sondern verlassen. Und Verlassenheit ist schlimmer als Einsamkeit, denn ihr kann man nicht entfliehen, durch keine Beschäftigung, durch keine Begegnung.
    Matthias wischt die Gedanken an Magdalena fort. Er ist Maler, sagt er sich, Maler und Bildschnitzer. Er muss sich mühen, die zu lieben, die er abbilden will. Für die Liebe im richtigen Leben bleibt nichts übrig. Er muss zurückfinden auf den Weg, den er beschritten hat, als er den Lindenhardter Altar gemalt, als er die Verspottung Christi geschaffen hat. Alles andere ist ihm nichts, und kein Geld der Welt kann daran etwas ändern.
    Lange noch beschäftigen Matthias diese Gedanken. Auch noch, als er nun inmitten des Pilgerzuges durch das Elsass wandert, an Straßburg vorbei, über die ersten Höhenzüge der Vogesen, an Weinbergen entlang, in Colmar nächtigt und weiter wandert, bis er schließlich das Antoniterhospital von Isenheim erreicht. Er verabschiedet sich von seinen Weggefährten, die weiterziehen über Valence nach Arles, um schließlich irgendwann auf den Chemin Traditionnel, den traditionellen Jakobspilgerweg, zu treffen, der über Montpellier nach Santiago de Compostela führt.
    Guido Guersi, der Vorsteher des Klosters, empfängt Matthias.
    »Gott zum Gruße, Matthias aus Grünberg«, sagt er und betrachtet den jungen Mann aufmerksam von oben bis unten. »Es freut mich, dass Ihr hierher gefunden habt, um dem Herrn mit Eurer Hände Arbeit zu dienen.« Matthias

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