Der Maler Gottes
stutzt, und der Präzeptor bemerkt es. »Oder habt Ihr einen anderen Grund, hier zu sein?«, fragt er dann, streicht sich über die Kutte aus Wollstoff mit dem hellblauen Tau, dem Kreuz, dessen Senkrechte nicht über die Waagerechte hinausgeht, dem Zeichen der Antoniter, und rückt das rote Chaperon, die Kapuze, mit der Hand zurecht.
Matthias schüttelt den Kopf, weiß nicht, was er sagen soll, wie er es sagen soll, sieht den Präzeptor mit einem Ausdruck der Hilflosigkeit an, sieht in das schmale, edle Gesicht mit dem langen, grauen Bart, sieht in die klugen aufmerksamen Augen und erkennt, dass er in Guido Guersi einen Menschen vor sich hat, dem nichts fremd ist. Kein Zweifel, keine Angst, kein Leid, keine Frage, die der Präzeptor des Isenheimer Klosters nicht kennt. Und Matthias sieht auch die Güte in seinem Gesicht, die Liebe zu den Menschen und die innere Ruhe und Zufriedenheit. Matthias steht und schaut; tief in sich verspürt er den Wunsch, diesem Mann, der ihm an Jahren weit voraus ist, sein Herz zu öffnen, ihm alle Zweifel und Ängste, all sein Versagen zu offenbaren.
Doch Matthias tut es nicht, er ist ein scheuer Mensch, der seine Gefühle im Verborgenen trägt. Er seufzt nur und sagt: »Ich suche die Liebe Gottes. Ich suche sie hier bei Euch, suche sie zeit meines Lebens. Manchmal trage ich sie für Augenblicke nur in meinem Herzen, doch festhalten kann ich sie nicht. Vielleicht gelingt es mir hier, an diesem Ort, beim Schnitzen der Schreinfiguren.« Der alte Mann mit dem eisgrauen Bart nickt und lächelt, stillschweigendes Verstehen.
»Warum gerade bei uns? Warum gerade hier?«, fragt er, und Matthias erzählt ihm von seiner Zeit bei den Grünberger Antonitern, hätte gern noch mehr erzählt, doch sein Mund verschließt sich und bringt auch die Seele zum Schweigen.
Guersi wartet geduldig. Als er sicher ist, dass Matthias nichts mehr sagen wird, nimmt er ihn am Arm und sagt: »Ich werde Euch das Hospital zeigen. Ich werde Euch zeigen, für wen Ihr diese Figuren schnitzen sollt.« Gemeinsam gehen sie durch den Klostergang hinüber in das Hospital. Schon vor der Tür riecht Matthias den Gestank nach verwesendem Fleisch, Angst, Urin, Blut, Eiter, Fäulnis, nach Tod. Schwer legt sich dieser Geruch auf seine Kehle, so schwer, dass er schlucken muss, doch der Geruch haftet schon in den Kleidern, in den Haaren, auf seiner Haut.
»Ja, ja«, sagt Guersi. »Das Leben gaukelt einem vor, es würde nach Blumen duften, der Tod aber verschleiert nichts. Der Tod ist die garstigste Seite des Lebens und lässt dies den Menschen mit allen Sinnen spüren. Spätestens der Tod ist es, der die Demut eintreibt, die der Mensch dem Leben schuldet.«
Matthias möchte gern weglaufen. Er hat Angst vor Krankheit, Leid und Tod. Er kennt die Qual am Leben aus eigener Erfahrung. Er scheut den Schmerz und die Pein der anderen, um nicht an den eigenen Schmerz und die eigene Pein erinnert zu werden. Doch während man seine Seelenqual verstecken kann hinter einem aufgesetzten Lächeln, kann man diese Krankheit hier, das Antoniusfeuer, nicht verstecken.
Matthias will weg. Seine Schritte werden zögernder, doch der Präzeptor hat ihn am Arm, zwingt ihn vorwärts. Gemeinsam betreten sie das Hospital. Schreie hallen durch die Gänge, Schmerzensschreie, ein Wimmern und Flehen. Laut und klagend, leise und röchelnd. Matthias scheinen diese Geräusche der Folter des Höllenfeuers zu entstammen. Er möchte die Ohren verschließen. Und er möchte sich die Augen zuhalten, als er den am Antoniusfeuer erkrankten Mann sieht, der auf dem Boden liegt und unendlich mühsam versucht, seinen ausgezehrten Körper mithilfe der Ellbogen vorwärts zu ziehen.
Matthias müsste hin zu dem Kranken, ihm hochhelfen, ihn stützen, doch er bleibt vor Ekel und Angst wie erstarrt stehen, die Blicke fest auf den Siechen gerichtet. Durch dessen zerrissene Kleidung ist der blau-grün-schwarz verfärbte Leib zu sehen. Jetzt hält er erschöpft inne und rollt sich auf die Seite, so dass Matthias den von der Wassersucht aufgetriebenen und mit Blasen übersäten Bauch sehen kann. Die Hände und Arme sind von einer pergamentartigen Hautschicht überzogen und lassen die Knochen beinahe durchscheinen. Die Glieder sind allesamt ausgezehrt und von stinkenden Eitergeschwüren bedeckt.
Der am Boden Liegende sieht Matthias aus entzündeten Augen an und fleht mit heiserer Stimme: »Herr, betet für mich! Betet für mich zum heiligen Antonius! Helfen kann nur noch er! Betet für
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