Der Maler Gottes
alten, dicken Mannes mit feistem Gesicht. Ihre königlichen Bewegungen unterstreichen die Plumpheit ihres Tänzers, ihr Lachen sprudelt aus ihrem Mund wie das Wasser aus einer Quelle, doch ihre Augen strafen die Fröhlichkeit Lügen. Besitzergreifend drückt der Dicke ihren Arm, führt Magdalena, als sei sie sein Eigentum.
Matthias hält mitten im Tanz inne, deutet mit dem Kopf in Richtung des Dicken und fragt das Mädchen an seiner Seite: »Wer ist das?«
Das Mädchen reißt erstaunt die Augen auf. »Das wisst Ihr nicht?« Matthias schüttelt den Kopf. »Ich bin nicht von hier, komme aus der Stadt.«
»Eben darum müsstet Ihr ihn kennen. Es ist der Henker von Frankfurt.«
»Der Henker?«, fragt Matthias ungläubig und denkt an die Hinrichtung zurück, der er Vorjahren beigewohnt hat. »Ja«, erwidert das Mädchen. »Er kommt immer nach Vilbel zum Maitanz. In Frankfurt ist ihm aufgrund seines Berufes die Teilnahme an jeder Festlichkeit verwehrt.« Matthias nickt. Er weiß, dass bestimmten Berufen wie beispielsweise Henkern, Abdeckern, Badern, Gauklern und Huren die Teilnahme an städtischen Festen und Vergnügungen untersagt ist.
»Und die Frau an seiner Seite? Wer ist sie?«, fragt er. Das Mädchen beugt sich dicht zu Matthias und tuschelt: »Man sagt, sie sei seine Braut. Der Müller vor Frankfurt schuldete dem Henker einen Gefallen, da hat er ihm Magdalena überlassen.«
Wie Messerstiche spürt Matthias diese Worte in seiner Brust. Fast hätte er sich vor Schmerz zusammengekrümmt. Magdalena als Braut des Henkers. War er zu lange weg gewesen? Er überschlägt im Kopf, wann er den letzten Brief von Magdalena bekommen hat. Weit länger als zwei Jahre ist das her, in Kronach noch hat er ihn erhalten. Und obwohl er den Brief wieder und wieder gelesen hatte, so hatte er doch nicht darauf geantwortet. Nein, er hat nicht erwarten können, dass Magdalena auf ihn wartet, obwohl er nichts von sich hören ließ. Matthias nimmt die Hand des Mädchens von seinem Arm und sagt: »Mir ist die Lust zum Tanz vergangen. Ich geleite Euch zu Eurem Platz, damit Ihr einen neuen, einen besseren Tänzer findet.«
Erst jetzt, als er Magdalena am Arm eines anderen erblickt und dabei sieht, dass sie nicht glücklich ist, erkennt er in aller Deutlichkeit, was sie ihm bedeutet. Magdalena. So viel Hoffnung war bisher für ihn in diesem Wort. Hoffnung auf einen Menschen, der für ihn da ist, der zu ihm gehören will. Nun scheint die Hoffnung verloren. Es ist seine Schuld, er weiß es. Er hat zu lange gewartet. Einmal noch dreht er sich nach dem Paar um, da endlich bemerkt ihn Magdalena. Sie erstarrt in den Armen des Henkers, sieht plötzlich nicht mehr aus wie die Frau, die von ihm zum Tanze geführt wird, sondern wie eine Frau auf dem Weg zum Galgen. Lautlos bewegt sie die Lippen, flüstert Matthias’ Namen.
Endlich wird auch der Dicke auf Matthias aufmerksam. Er sieht ihn fragend an, und plötzlich fasst Matthias einen Entschluss. Er winkt den Dicken zu sich, und eilfertig kommt dieser mit devotem Gebaren näher, Magdalena am Arm mit sich ziehend.
»Was wünscht Ihr, Herr?«, fragt der Henker. »Einen Tanz mit Eurer Braut«, verlangt Matthias, sieht dabei zu Magdalena, die die Blicke schamhaft niederschlägt. »Aber, Herr, das ziemt sich nicht«, begehrt der Dicke auf. »Ziemt es sich vielleicht, dass ein Alter wie Ihr um so ein junges Ding freit?«, blafft Matthias, drückt dem Henker einen ganzen Gulden in die Hand und zieht Magdalena mit sich zum Tanz.
»Magdalena«, flüstert Matthias rau, als er sie in den Armen hält. Zaghaft schaut Magdalena hoch und sieht ihn mit klaren Augen an. Und wieder ist es Matthias, als würde Magdalena direkt in seine Seele blicken. Schmerzhaft spürt er den Verlust, so schmerzhaft, dass er den Blick abwenden muss.
Er drückt sie enger an sich, spürt, wie sich ihre Brüste gegen sein Wams drücken, und die Begierde flammt jäh in ihm auf. Besitzen will er Magdalena in diesem Augenblick. Besitzen das Weib, die Frau, mit Haut und Haaren. Kostbar erscheint sie ihm, nun, da sie einem anderen versprochen ist, so kostbar wie nie zuvor. Er muss sie haben, muss Magdalena für sich gewinnen. Sie ist sein Mädchen, war es immer, ist es jetzt mehr denn je. »Nicht«, flüstert Magdalena und macht sich von Matthias los. »Ich bin jetzt die Braut eines anderen.«
»Nein!« Matthias schreit es fast. »Nein!«
»Ich habe lange auf dich gewartet, Matthias. Fünf Jahre lang. Die letzten beiden ohne Nachricht von
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