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Der Maler

Der Maler

Titel: Der Maler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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die Stufen zu Harrys Haustür hinauf und warf die Diskette in seinen Briefschlitz. Sie machte Sicherungskopien von Sicherungskopien, und falls ihr Haus jemals abbrannte oder ausgeraubt wurde, hatte wenigstens Harry eine Kopie ihrer Arbeitsunterlagen. Obwohl Harry ihre Besorgnis übertrieben fand, tat er ihr diesen Gefallen. Ihr System war einfach: Warf Susanna eine Diskette in seinen Briefkasten, steckte Harry die vorherige in ihren Kasten, meistens am nächsten Morgen.
    Sie trat auf den Pomander Walk hinaus. Carson hob am ersten Baum das Bein. Dann zog sie den Reißverschluß ihrer Jacke ganz hoch, weil die Nacht kühl war, und trabte mit Carson nach Osten durchs dunkle Georgetown.
    Der Mann in dem geparkten Wagen am Volta Place beobachtete, wie sie davonlief. Er wußte, daß er nicht viel Zeit hatte. Es war schon spät; die Frau würde vermutlich nicht sehr lange joggen. Er würde rasch arbeiten müssen.
    Er stieg aus, drückte seine Autotür leise zu und überquerte die Straße. Er trug eine schwarze Hose, ein dunkles Hemd und eine schwarze Lederjacke; in der rechten Hand hielt er einen kleinen ledernen Aktenkoffer. Mark Callahan verlor keine Zeit. Wie alle Männer von Mitchell Elliotts Leibwache hatte er in den Special Forces gedient, genauer gesagt bei den Seals, den Kampfschwimmern der U.S.Navy. Er wußte, wie man leise in ein Gebäude eindringt. Er wußte, wie man spurlos wieder verschwindet.
    Der Pomander Walk war still und menschenleer. Nur in einem der kleinen Häuser brannte noch Licht. Dreißig Sekunden nach Betreten der Gasse hatte er das Schloß von Susanna Daytons Haustür geknackt und war in ihrem Haus.
    Er blieb eine Viertelstunde lang darin und verschwand dann so lautlos, wie er gekommen war.
    Gegen vier Uhr wachte Michael vom Regen auf. Er versuchte wieder einzuschlafen, aber es gelang ihm nicht. Sobald er die Augen schloß, hatte er das ins Meer stürzende Flugzeug und Hassan Mahmouds von drei Kugeln zerfetztes Gesicht vor sich.
    Er stand leise auf und ging in sein Arbeitszimmer. Er schaltete seinen Computer ein und setzte sich davor.
    Er rief verschiedene Dateien auf: Fotos, Polizeiberichte, CIA-Memos, Mitteilungen befreundeter Dienste. Michael sah sie nochmals durch. Die Ermordung eines Staatssekretärs in Sevilla, angeblich durch die baskische Separatistenbewegung ETA, später geleugnet. Die Ermordung eines Polizeipräfekten in Paris, angeblich durch die Action Directe, später geleugnet. Die Ermordung eines BMW-Direktors in Frankfurt, angeblich durch die RAF, später geleugnet. Die Ermordung eines hohen PLO-Kommandeurs in Tunis, angeblich durch eine rivalisierende Palästinenserfraktion, später geleugnet. Die Ermordung eines israelischen Geschäftsmanns in London, angeblich durch die PLO, später geleugnet. Diese Anschläge hatten sich alle in Krisenzeiten ereignet und die Spannungen verstärkt. Alle hatten noch etwas gemeinsam: Die Opfer waren durch drei Schüsse ins Gesicht getötet worden.
    Michael öffnete eine weitere Datei. Die Ermordete war Sarah Randolph. Sie war eine reiche, schöne Kunststudentin mit sozialistischen Ideen, und Osbourne hatte sich in seiner Londoner Zeit wider besseres Wissen hoffnungslos in sie verliebt. Da er wußte, daß die Abteilung Personalsicherheit wegen ihrer politischen Einstellung Schwierigkeiten machen würde, hatte er gegen die Vorschriften der Agency verstoßen und beschlossen, die Beziehung nicht zu melden. Aus der Ermordung Sarahs am Chelsea Embankment hatte die Agency dann geschlossen, Michael sei enttarnt, er sei der anderen Seite bekannt und könne nicht mehr im Außendienst eingesetzt werden.
    Er rief ihr Foto auf. Sie war die schönste Frau, die er je gekannt hatte, aber der Attentäter hatte ihr die Schönheit und das Leben geraubt. Drei Schüsse ins Gesicht, Kaliber neun Millimeter wie in allen anderen Fällen. Michael hatte ihren Mörder gesehen, aber nur für einen Augenblick. Seiner Überzeugung nach war er der Mann, der die anderen ermordet hatte, der Mann, der Hassan Mahmoud erschossen hatte.
    Wer war er? Arbeitete er in staatlichem Auftrag oder auf freiberuflicher Basis? Weshalb mordete er immer auf gleiche Weise? Michael zündete sich eine Zigarette an und stellte sich eine andere Frage: Existiert er wirklich? Oder ist er ein Produkt meiner Phantasie? Ein Gespenst in den Dateien? Carter glaubte, Michael jage einem Hirngespinst nach. Carter hätte ihn zur Schnecke gemacht, wenn er seine Theorie jetzt verbreitet hätte.
    Tyler ebenfalls.

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