Der Maler
Der Regen hatte aufgehört, und die Fahrbahn lag unter einem Teppich aus rutschigem Laub. Susanna schloß ihren Wagen ab und überquerte die Straße. Der Pomander Walk war wie gewöhnlich still und menschenleer. Im Haus direkt gegenüber flackerte der Widerschein von Fernsehbildern über die Wohnzimmerdecke.
Carson kläffte laut, als Susanna die Stufen zur Haustür hinaufging und den Schlüssel ins Schloß steckte. Er war seit neun Uhr morgens im Haus eingesperrt gewesen. Mit seiner Leine zwischen den Zähnen wartete er auf sie. »Gleich, mein Lieber, gleich. Ich muß noch ein bißchen arbeiten und mich dann umziehen.«
Das Haus war klein, aber für eine Person recht behaglich: zwei Schlafzimmer im ersten Stock, Küche und Wohnzimmer im Erdgeschoß. Als sie noch verheiratet gewesen war, hatte sie mit ihrem Mann zwei Straßenblocks weit entfernt in einem größeren Stadthaus in der 34th Street gewohnt. Dieses Haus war nach ihrer Scheidung verkauft und der Erlös zwischen ihnen geteilt worden. Jack und seine neue Frau, eine Aerobictrainerin, hatten sich ein Haus mit Blick über den Rock Creek in Bethesda gekauft. Susanna war froh, daß er umgezogen war. Sie wollte in Georgetown wohnen bleiben, ohne befürchten zu müssen, jeden zweiten Tag Jack und seiner Eroberung über den Weg zu laufen.
Sie nutzte das zweite Schlafzimmer als Büro. Unterlagen und Akten waren über den Fußboden verstreut. Bücher quollen aus den eingebauten Regalen. Sie stellte ihren Laptop auf den Schreibtisch und schaltete ihn ein. Dann tippte sie fünf Minuten lang rasend schnell. Carson saß an der Tür, ließ sie nicht aus den Augen, seine Leine noch immer in der Schnauze.
Dieser Abend war voller Überraschungen gewesen. Mitchell Elliott hatte sich drei Stunden im Weißen Haus aufgehalten - vermutlich bei Präsident Beckwith. Und sie hatte ihn vor seiner Villa in der California Street mit Paul Vandenberg, dem Stabschef des Präsidenten, gesehen. Beide Tatsachen waren nicht an sich belastend. Aber wenn es ihr gelang, sie in das Puzzle einzufügen, hatte sie vielleicht eine wirkliche Story.
Heute abend konnte sie nichts weiter unternehmen. Morgen vormittag würde sie mit ihrem Redakteur sprechen, ihm erzählen, was sie bisher in Erfahrung gebracht hatte, und gemeinsam mit ihm überlegen, wo sie weitersuchen sollte.
Sie verschlüsselte die Datei und speicherte sie dann auf der Festplatte und auf zwei Disketten. Die zweite Diskette nahm sie mit ins Schlafzimmer. Es war schon spät, nach elf Uhr, aber sie war von der langen Sitzerei im Auto und im Café nervös überreizt. Sie zog ihren Pullover aus, streifte Rock und Strumpfhose ab. Aus einer Kommodenschublade nahm sie eine blaue Jogginghose und einen Baumwollpulli. Ihre Reebok-Nylonjacke hing am Bad an einem Haken. Sie schlüpfte hinein und zog den Reißverschluß hoch, bevor sie sich übers Waschbecken beugte, um das Make-up abzuschrubben, das sie vor fünfzehn Stunden aufgelegt hatte.
Sie trocknete ihr Gesicht ab und betrachtete dabei ihr Spiegelbild. Mit vierzig hielt Susanna Dayton sich noch für eine durchaus attraktive Frau: schwarze Locken bis über die Schultern, dunkelbraune Augen, südländischer Teint. Aber die Zeit begann ihre Spuren zu hinterlassen. Seit sie von Jack geschieden war, hatte sie sich regelrecht in ihre Arbeit gestürzt.
Sechzehnstundentage waren keine Ausnahme, sondern die Regel. Sie war mit ein paar Männern ausgegangen und hatte sogar mit einigen geschlafen, aber ihre Arbeit stand jetzt an erster Stelle.
Carson trabte ruhelos im Flur auf und ab. »Komm, Boy! Jetzt geht's los!«
Susanna nahm die Diskette und folgte dem Hund die Treppe hinunter. Während sie Dehnungsübungen machte, griff sie nach dem schnurlosen Telefon und tippte die Kurzwahlnummer ihres Nachbarn Harry Scanion ein.
»Ich gehe mit Carson joggen«, sagte sie. »Bin ich in einer halben Stunde nicht zurück, schickst du Hilfe, okay?«
»Wo willst du laufen?«
»Weiß ich noch nicht. Vielleicht bis zum Dupont Circle und zurück.«
»Wo zum Teufel bist du gewesen?«
»Ich hab' gearbeitet. Ich werfe im Vorbeigehen wieder eine bei dir ein.«
»Okay.«
»Gute Nacht, Darling.«
»Gute Nacht, Liebste.«
Sie steckte Piepser und Handy in eine Gürteltasche und verließ das Haus. Sie wußte, daß es idiotisch war, so spät nachts allein zu joggen - ihre Freunde machten ihr deswegen ständig Vorhaltungen -, aber sie nahm immer ein Mobiltelefon mit und hatte Carson als Beschützer dabei.
Sie ging
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