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Der Mammutfriedhof

Der Mammutfriedhof

Titel: Der Mammutfriedhof Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans W. Wiener
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ich mich auf meine Hände verlassen kann.«
    »Ich habe zu danken«, entgegnete die Frau. »Die ganze Stadt hat zu danken!«
    Mythor erhob sich und wandte sich der Tür zu. Dort blieb er noch einen Augenblick stehen. Er deutete auf winzige, ineinander verschlungene Knochen, die auf einem der Regale lagen.
    »Was sind das für Knochen?« fragte Mythor. »Von welchem Tier stammen sie?«
    Die Frau sah ihn ernst an. »Es sind keine Tierknochen«, sagte sie mit leiser, dumpfer Stimme.
    *
    Die Hütte des Ratschlags war das größte Gebäude in Urguth. Sie war kreisförmig und mit einem spitzen, kegelförmigen Dach gedeckt. Die Wände bestanden aus senkrechten, ausgebleichten Knochenpfählen, die direkt im Grund des Meeres verankert waren. Dadurch war dieses Gebäude das stabilste der ganzen Stadt. Die Zerstörungswut der Sasgen hatte ihm nichts anhaben können.
    Mythor, Elivara, Kalathee, der Lorvaner und der Steinmann saßen im Inneren der Hütte des Ratschlags auf niedrigen, gepolsterten Schemeln. Ihnen gegenüber hockte Jenersen. Er hatte die Arme vor der Brust gekreuzt und hielt den Kopf gesenkt. Nachdenklich und in sich versunken starrte er vor sich hin.
    Rechts und links neben dem Fürsten der Pfahlstadt saßen je vier uralte Männer. Ihre Gesichter waren zerfurcht und faltig. Ein langes, hartes Leben als Fischer auf dem Meer der Spinnen hatte sie geprägt. Schlohweißes Haar hing ihnen lang bis auf die hageren Schultern. Sie hatten die Hände im Schoß gefaltet, und ihre dürren, knochigen Finger sahen aus wie Krallen.
    Hinter den alten Männern und Jenersen standen die meisten der übrigen Bewohner der Pfahlstadt und warteten geduldig und stumm auf den Beginn des Gesprächs. Sie starrten in das niedrige Feuer, das in der Mitte der Hütte brannte. Ein feiner Rauchfaden stieg senkrecht von diesem Feuer auf und verschwand durch eine kleine Öffnung in der Spitze des Hüttengiebels.
    »Urguth war eine friedliche Stadt«, begann schließlich Jenersen mit monotoner Stimme. Während er sprach, hielt er noch immer den Kopf gesenkt und sah vor sich auf den Boden. Seine Rede glich einem Selbstgespräch. »Wir kannten keine Feinde und keine Gefahren. Wir haben keine Kriege geführt und brauchten uns nicht zu fürchten vor den Bedrohungen des Meeres. Der undurchdringliche Gürtel des Mammutfriedhofes gab uns das Material für unsere Hütten und trennte uns von allem Bedrohlichen, was das feste Land in sich barg!«
    Elivara unterbrach ihn ungeduldig. »Du sagst, das Meer hatte keine Gefahren für euch«, sagte sie. »Haben euch nie die Riesenspinnen angegriffen, habt ihr nie gegen die Vallsaven kämpfen müssen?«
    Jenersen hob den Kopf und sah die Königin von Nyrngor an. »Doch, sie haben uns angegriffen, aber wir haben nie gegen sie kämpfen müssen«, antwortete er.
    Elivara blickte ihn verständnislos an. »Ich verstehe dich nicht«, sagte sie.
    Jenersen lächelte, als er ihre Verwirrung bemerkte. »Auch wir haben das lange Zeit nicht verstanden«, fuhr er fort. »Schon viele Male sahen wir die gewaltigen Spinnen weit draußen auf dem Meer auftauchen. Schneller als das schnellste Schiff näherten sie sich unserer Stadt. Wir haben das hässliche Schmatzen ihrer Kiefer gehört. Manche der Unsrigen sind fast gestorben vor Angst; wir alle fürchteten, umkommen zu müssen. Doch immer dann, wenn wir keine Hoffnung mehr sahen, griff eine gewaltige Macht ein, über die ich nichts weiß. Die Spinnen und die Vallsaven fielen übereinander her. Sie zerrissen sich gegenseitig und verschlangen sich in einem wilden Kampf. In solchen Augenblicken verdüsterte sich der Himmel, schwarze Nebelbänke trieben über das Wasser, und in der Luft hing ein dumpfes Dröhnen wie das Stöhnen und Klagen eines gewaltigen Wesens. Unirdische Gewalten übernahmen dann die Macht, hoben die uralten Gesetze der Natur auf, nach denen sich bis dahin der Lauf der Welt richtete, und führten für uns den Kampf gegen die Bedrohungen, die sich aus dem Meer erhoben.«
    Jenersen machte eine Pause und schwieg lange. Auch Elivara unterbrach die Stille nicht und stellte keine Fragen.
    »Erst später haben wir mehr darüber erfahren«, fuhr der Fürst der Pfahlstadt nach einer Weile fort. »Es gab jemanden, der seine schützende Hand über Urguth hielt. Er beobachtete uns, wie man spielende Kinder beobachtet und schützt. Er sorgte dafür, dass wir friedlich und ohne Gefahren leben konnten, dass es uns an nichts mangelte. Ja, auch wenn wir in schlechten Zeiten vom

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