Der Mann auf dem Balkon
Hitze.«
Eine Stunde später fuhr Martin Beck nach Hause. Kollberg ließ sich in die Kungsholmsgatan bringen.
Sie wechselten noch ein paar Worte, bevor sie sich voneinander verabschiedeten.
»Die Personenbeschreibung stimmte wirklich.«
»Sie paßt nur auf zu viele«, sagte Martin Beck.
»Und es ist die richtige Gegend. Du denkst doch an Vasastaden oder das obere Norrmalm.«
»Wir wollen erst mal hören, wer er ist.«
Es war halb sieben, als Martin Beck nach Hause kam» Seine Frau war offensichtlich eben erst erwacht. Sie lag noch im Bett, sah ihn kritisch an und sagte: »Wie du aussiehst!«
Warum hast du kein Nachthemd an?«
»Das ist so warm. Stört es dich etwa?«
»Bestimmt nicht!«
Er fühlte sich unrasiert und schmuddelig und war zu müde, etwas dagegen zu tun. Er zog sich aus und schlüpfte in seinen Pyjama. Legte sich hin. Dachte: Gräßlich, diese Doppelbetten. Vom nächsten Gehalt kaufe ich eine Couch und stelle sie ins andere Zimmer.
»Regt es dich etwa auf?« fragte sie spöttisch. Aber da schlief er bereits.
Um elf Uhr vormittags war er wieder in der Kungsholmsgatan, etwas hohläugig, aber frisch gebadet und relativ munter. Kollberg war imer noch da, und der Tote in der Västmannagatan war noch nicht »Nicht ein Papier in der Tasche, noch nicht einmal einen Fahrschein.«
»Was sagt der Arzt?«
»Erstickt beim Erbrechen, das steht fest. Er vermutet technischen Sprit, Frostschutzmittel. Es lag ein leerer Kanister dort.«
»Wie lange war er schon tot?«
»Höchstens vierundzwanzig Stunden.« Sie saßen eine Weile'schweigend da.
»Ich glaube nicht, daß er es ist«, sagte Kollberg schließlich.
»Ich auch nicht.«
»Aber man kann nie wissen.«
»Nein.«
Zwei Stunden später ließen sie den Räuber kommen, damit er sich den Toten ansehen sollte.
»Pfui Teufel, wie ekelhaft«, sagte er. Und gleich darauf: »Nein, das ist nicht der, den ich gesehen habe. Den hier habe ich noch nie gesehen.«
Dann wurde ihm schlecht.
Eine richtige Explosion, dachte Rönn, der mit ihm durch Handschellen zusammengeschlossen war und ihm deshalb auf die Toilette folgen mußte. Aber er sagte nichts, sondern nahm ein Handtuch und trocknete dem Räuber Mund und Stirn ab.
Im Hauptquartier der Ermittlungsabteilung sagte Kollberg: »Ganz sicher kann man trotzdem nicht sein.«
»Nein«, bestätigte Martin Beck.
21
Am Sonnabendabend Viertel vor acht rief Kollbergs Frau an.
»Ja, Kollberg«, meldete er sich.
»Was um Himmels willen ist los, Lennart? Seit gestern früh bist du nicht zu Hause gewesen.«
»Ich weiß.«
»Ich will dich ja nicht drängen, aber es ist nicht einfach für hier draußen so ganz allein zu sitzen.«
»Ich weiß.«
»Du mußt verstehen, ich bin nicht böse und will nicht nör aber ich bin so einsam. Ich fürchte mich.«
»Ich verstehe. Okay, ich komme jetzt nach Hause.«
»Du sollst nicht meinetwegen nach Hause kommen, nicht, du etwas anderes zu tun hast. Wenn ich nur ein Weilchen mit dir reden kann.«
»Doch, ich komme jetzt«, sagte er, »sofort.« Eine kurze Pause. Dann sagte sie unerwartet weich: »Lennart?«
»Ja?«
»Ich hab dich vorhin im Fernsehen gesehen. Du sahst so müde aus.« »Ich bin auch todmüde. Ich komme jetzt nach Hause. Bis dann.«
»Bis dann, Liebling.«
Kollberg sagte einige Worte zu Martin Beck, dann ging er nach unten und setzte sich ins Auto.
Ebenso wie Martin Beck und Gunvald Larsson wohnte er im Süden Stockhohns, aber etwas zentraler, in der Palandergatan, unweit der U-Bahn-Station Skärmarbrink. Er fuhr zügig durch die Stadt, doch als er nach Slussen kam, bog er nach rechts in die Hornsgatan ab, anstatt in südlicher Richtung weiterzufahren. Sein Handeln zu analysieren fiel ihm nicht schwer.
Es gab kein Privatleben mehr, keine freie Zeit, keine Gedanken an etwas anderes als Dienst und Verantwortung. Solange der Mörder noch frei herumlief und solange es hell war und solange es Parks gab und solange man sich vorstellen konnte, daß ein Kind da spielte, solange gab es kein Ausruhen, sondern nur Ermitteln.
Oder, besser gesagt, die Jagd. Denn eine Ermittlung der Polizei setzt voraus, daß man greifbares Material hat, um damit zu arbeiten. Die wenigen Fakten aber, die bis jetzt vorlagen, waren in der Ermittlungsmaschine längst erfolglos durchgekaut worden.
Er dachte an den Schlußsatz des psychologischen Gutachtens. Der Mörder war eine Gestalt ohne Eigenschaften und ohne Gesicht. Es gab nur das Ziel, ihn zu fassen, ehe er aufs neue mordete. Und
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