Der Mann auf dem Balkon
hohen Bahndamm rollte ein Müllzug vorbei, langsam und schleppend. Als das Rattern leise wurde und der Lichtschein zu verblassen begann, hörte Kollberg ein Rascheln hinter sich im Gebüsch. Eine Sekunde später lag er im nassen Gras, hatte den Geschmack von Blut im Mund und wußte, daß jemand ihn mit einem harten Gegenstand niedergeschlagen hatte.
Nach Kollberg zu schlagen war ein großer Fehler, den schon andere vorher gemacht hatten. Sie hatten dafür büßen müssen.
Diesmal hatte der Betreffende sein ganzes Körpergewicht in den Schlag gelegt und dabei selbst beinahe das Gleichgewicht verloren. Im Nu hatte Kollberg sich auf den Rücken gerollt und den Angreifer zu Boden gerissen. Ein hochgewachsener Kerl, mehr vermochte er davon nicht zu erfassen, denn nun sah er einen zweiten Mann, der mit verwunderter Miene hastig die rechte Hand in die Jackentasche steckte. Der Mann machte ein noch verblüffteres Gesicht, als Kollberg, das Knie noch auf der Erde, seinen Arm abfing und umdrehte.
Mit diesem Griff hätte Kollberg ihm den Arm ausrenken oder vielleicht sogar brechen können, wenn er nicht mitten in der Bewegung innegehalten und sich damit begnügt hätte, den Mann rückwärts ins Gebüsch zu schleudern.
Der ihm den Schlag versetzt hatte, hockte verblüfft auf der Erde verzog das Gesicht und hielt sich mit der linken Hand die rechte Schulter. Der Gummiknüppel war ihm aus der Hand gefallen. Der Mann war recht groß, bestimmt mehrere Jahre jünger als Kollberg und trug einen blauen Trainigsanzug. Der zweite Mann krabbelte aus dem Gebüsch heraus. Er war älter und kleiner als der erste und hatte Manchesterjacke und Freizeithosen an. Beide trugen weiße Stoff. schuhe mit Gummisohlen und sahen aus wie Sonntagssegler. »Was, zum Teufel, ist hier eigentlich los?« fauchte Kollberg.
»Wer sind Sie?« fragte der Mann im Trainigsanzug.
»Polizei«, sagte Kollberg.
»Oh«, entfuhr es dem Kleineren. Er war aufgestanden und klopfte sich verlegen die hellen Hosen ab.
»Dann müssen wir wohl um Entschuldigung bitten«, sagte der erste. »Übrigens, das war ein guter Trick. Wo haben Sie den gelernt?«
Kollberg antwortete nicht. Er sah einen flachen Gegenstand auf der Erde liegen, bückte sich und hob ihn auf. Er hatte sofort erkannt, was es war: eine kleine schwarze, automatische Pistole, Marke Astra, spanisches Fabrikat. Kollberg wog sie in der Hand und sah die beiden Männer mißtrauisch an.
»Was, zum Teufel, ist hier los?« wiederholte er seine Frage.
Der Große richtete sich auf, schüttelte sich und sagte: »Wir bitten um Entschuldigung. Sie standen hier im Gebüsch und beobachteten das Kind. Und… Sie wissen, der Mörder…«
»Ja? Nur weiter.«
»Wir wohnen hier oben«, sagte der Kleinere und deutete mit einer Geste auf das Hochhaus an der anderen Seite des Eisenbahndamms.
»Ja?«
»Wir haben selbst Kinder, und wir kennen die Eltern des chens, das hier am hellichten Tag ermordet wurde.«
»Ja?«
»Und um zu helfen…«
»Ja?«
»Wir haben eine freiwillige Schutztruppe gebildet, die im Park pa-troulliert.«
»Was haben Sie?«
»Wir haben eine freiwillige Miliz gebildet…«
Kollberg wurde plötzlich wütend. »Verdammt, was sagen Sie Mann?« brüllte er.
»Schreien Sie uns nicht an«, entgegnete der Ältere heftig.
»Wir sind keine Säufer, die ihr herumstoßen und im Arrest behandeln könnt. Wir sind anständige Leute, die ihre Verantwortung kennen. Wir müssen uns und unsere Kinder schützen.«
Kollberg wandte sich ihm zu und starrte ihn an. Dann öffnete er den Mund zu einer passenden Antwort, beherrschte sich aber mit einiger Anstrengung und sagte ziemlich sanft: »Ist das Ihre Pistole?«
»Ja.«
»Haben Sie einen Waffenschein?«
»Nein. Ich habe sie vor einigen Jahren in Barcelona gekauft. Habe sie gewöhnlich unter Verschluß.«
»Gewöhnlich?«
Der schwarz-weiße Einsatzwagen des Maria-Polizeireviers fuhr mit aufgeblendeten Scheinwerfern in den Parkweg. Es war nun fast dunkel. Zwei uniformierte Polizisten stiegen aus.
»Was ist hier los?« fragte der eine. Dann erkannte er Kollberg und wiederholte in verändertem Tonfall: »Was ist hier los?«
»Nehmt die beiden mit«, sagte Kollberg tonlos.
»Ich habe noch nie im Leben einen Fuß in ein Polizeirevier gesetzt«, entgegnete der Ältere.
»Ich auch nicht«, sagte der im Trainingsanzug.
»Dann wird es Zeit«, meinte Kollberg trocken. Er machte eine kurze Pause, sah die beiden Polizisten an und sagte: »Ich komme gleich nach.« Dann
Weitere Kostenlose Bücher