Der Mann auf dem Balkon
und als sich herausstellte, daß wir nicht einzugreifen brauchten, habe ich den Zettel später bestimmt weggeworfen.«
Martin Beck zündete sich eine Zigarette an, ging nach vorne, legte das Streichholz in Melanders Aschenbecher und ging zurück an seinen Platz beim Aktenschrank.
»Ja, das ist anzunehmen. Weiter, Frederik.«
»Erst nachdem sie ihn beschrieben hatte, begriffst du, daß er auf seinem eigenen Balkon stand, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte Gunvald Larsson. »Ich hatte den Eindruck, die sei nicht ganz richtig im Kopf.«
»Dann hast du gefragt, wieso sie erkennen konnte, daß er blau-graue Augen hat, wenn er auf der anderen Seite der Straße steht.« »Darauf sagte die Alte, daß sie ihn durch ein Fernglas beobachtet habe, ja.« Melander blickte verwundert auf. »Fernglas?« sagte er. »Na, so was.«
»Ja, und ich fragte, ob er sie irgendwie belästigt habe. Das hatte er nicht. Er stehe nur da, und sie empfinde das als unangenehm, sagte sie.«
»Er stand offensichtlich auch nachts dort«, sagte Melander.
»Das hat sie jedenfalls behauptet.«
»Du hast dich erkundigt, was er tue, und sie sagte, daß er auf die Straße hinuntersieht und Autos und Kinder beobachtet. Und später hast du gefragt, ob wir vielleicht Polizeihunde schicken sollten.«
Gunvald Larsson sah Martin Beck an und sagte gereizt: »Ja, Martin hatte vorher von Polizeihunden gesprochen. Das wäre ja eine gute Gelegenheit für seine dummen Hunde gewesen.«
Martin Beck wechselte einen Bück mit Kollberg, enthielt sich aber eines Kommentars.
»Ja«, schloß Melander, »damit war die Unterhaltung beendet, glaube ich. Die alte Frau meinte, du seist unverschämt und legte auf. Und ich ging in mein Zimmer zurück.«
Martin Beck seufzte.
»Ja, viel ist es nicht. Nur eine mögliche Übereinstimmung der Beschreibung.«
»Merkwürdig, daß ein Kerl Tag und Nacht auf seinem Balkon steht«, sagte Kollberg.
»Vielleicht ist er pensioniert und hat nichts anderes zu tun.«
»Nein«, sagte Gunvald Larsson, »das stimmt nicht. Nun erinnere ich mich, daß sie sagte: ›Ein junger Kerl ist es, sicher nicht älter als vierzig. Und scheint nichts anderes zu tun zu haben, als dazustehen und zu glotzen.‹ Genau das hat sie gesagt. Jetzt fällt es mir wieder ein.«
Martin Beck nahm den Arm vom Aktenschrank und sagte: »Auch das stimmt mit Lundgrens Personenbeschreibung überein. In den Vierzigern. Wenn sie ihn mit dem Fernglas beobachtet hat, muß sie seine Augen ganz deutlich gesehen haben.«
»Sagte sie etwas darüber, wie lange sie ihn schon beobachtet hat, bevor sie uns hier anrief?« fragte Kollberg.
Gunvald Larsson überlegte eine Weile. Dann sagte er: »Doch, das hat sie. Sie sagte, daß sie ihn während der letzten zwei Monate beobachtet hätte. Er könne sich aber gut schon früher so aufgeführt haben, ohne daß sie es bemerkt habe. Anfangs habe sie geglaubt, daß er sich vielleicht das Leben nehmen wolle.
›Runterspringen‹, sagte sie.«
»Bist du sicher, daß du die Notizen nicht doch irgendwo hingelegt hast?« fragte Martin Beck.
Gunvald Larsson zog die Schreibtischschublade auf, nahm ein dünnes Päckchen Zettel verschiedener Größe heraus, legte sie vor sich auf den Tisch und blätterte sie durch.
»Hier lege ich alle solche Sachen hin, die aufgehoben werden oder denen nachgegangen und über die ein Bericht geschrieben werden soll. Ist das erledigt, werfe ich die Zettel weg«, erklärte er, während er sie durchsah.
Melander beugte sich vor und klopfte die Pfeife aus. »Ja«, sagte er, »du hattest den Kugelschreiber in der Hand und zogst den Notizblock heran, dann hast du das Telefonbuch beiseite geschoben…«
Gunvald Larsson hatte das Bündel durchgeblättert und legte es in die Schublade zurück. »Nein, ich weiß, daß ich von dieser Unterhaltung keine Notizen aufbewahrt habe«, sagte er. »Leider nicht.«
Melander hob die Pfeife und zeigte mit dem Schaft auf Gunvald Larsson. »Das Telefonbuch«, sagte er. »Was ist mit dem Telefonbuch?« fragte Gunvald Larsson.
»Ein Telefonbuch lag aufgeschlagen auf dem Schreibtisch. Hast du etwa da reingeschrieben?« »Das wäre möglich.«
Gunvald Larsson streckte die Hand nach seinen Telefonbüchern aus. »Schöne Arbeit, die alle durchzublättern.«
Melander legte seine Pfeife weg und meinte: »Das brauchst du nicht. Wenn du etwas notiert hast - und ich glaube, das hast du, dann nicht in einem von deinen Telefonbüchern.«
Martin Beck sah plötzlich die Szene wieder vor
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