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Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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beenden.
    »Hat er etwas Schriftliches hinterlassen?«
    »Ja. ›Ich halte es nicht mehr aus‹, stand auf dem Rand einer alten Porno-Zeitung.
    ›Ich habe mich an die Antialkoholiker gewendet.«
    »Das hätte er längst tun sollen.«
    »Tja, er pflegte eben sein Laster.« Einige Sekunden später setzte er hinzu: »Bis es ihn übermannte.«
    Noch lagen viele Stunden dieses scheußlichen Montags vor ihnen. Gegen elf Uhr abends fuhren Martin Beck und Kollberg nach Hause. Gunvald Larsson auch.
    Melander blieb noch. Alle wußten, daß er Nachtdienst verabscheute und daß der bloße Gedanke, von seinen zehn Schlafstunden auch nur eine entbehren zu müssen, ein Alptraum für ihn war; doch er sagte nichts, und er benahm sich genauso stoisch und unerschütterlich wie immer.
    Nichts passierte. Man hatte mit vielen Frauen gesprochen, die An-dersson hießen, aber keine von ihnen hatte das ominöse Telefongespräch geführt.
    Man hatte auch keine weiteren Leichen gefunden, und alle Kinder, die im Laufe des Tages als vermißt gemeldet worden waren, hatten sich wieder angefunden. Martin Beck ging zum Fridhelmsplan und fuhr mit der U-Bahn nach Hause. Auch an diesem Tag war alles gut gegangen. Nun war es eine Woche her seit dem letztenmal - oder fast eine Woche.
    Er fühlte sich wie ein Ertrinkender, der gerade Grund unter die Füße bekommen hat, der aber weiß, daß es nur ein Aufschub ist, da die nächste Flut in einigen Stunden kommen wird.

25
    Es war am frühen Vormittag, Dienstag, dem 20. Juni. Im Wachraum des 9. Reviers war es noch ruhig.
    Der Polizeikonstabler Kvist saß an einem Tisch, rauchte und las Zeitung. Er war ein junger Mann mit blondem Bart. Aus dem Verschlag in der Ecke waren Stimmen zu hören, hin und wieder von Schreibmaschinengeklapper unterbrochen. Ein Telefon klingelte. Kvist blickte von seiner Lektüre auf und sah Granlund im Glaskäfig den Hörer abnehmen.
    Die Tür hinter Kvist wurde geöffnet. Rodin kam herein, blieb an der Tür stehen und schnallte das Koppel um. Er war bedeutend älter als Kvist, sowohl an Lebensals auch an Dienstjahren. Kvist hatte die Polizeischule vor einem Jahr verlassen und war erst vor kurzem zum 9. Revier versetzt worden.
    Rodin kam zum Tisch und griff nach seiner Mütze. Er schlug Kvist auf die Schulter.
    »Tja, mein Junge. Noch eine Runde, und dann machen wir Schluß.«
    Kvist drückte die Zigarette aus und legte die Zeitung zusammen. »Was liest du da?«
    fragte Rodin.
    »Zeichen der Zeit. Eine gute Zeitung. Die solltest du auch mal lesen.«
    »Bloß nicht. Solch ein politisches Käseblatt. Und kulturell, wie? Nein, ich halte mich an die Sportzeitung. Komm jetzt.«
    Sie gingen durch das Tor hinaus und dann die Surbrunnsgatan entlang in westlicher Richtung. Langsam, Seite an Seite, mit gleichlangen Schritten, die Hände auf dem Rücken.
    »Du, was hat Granlund gesagt? Was sollen wir mit dieser Tante Andersson anfangen, wenn wir sie sehen?« fragte Kvist.
    »Nichts. Fragen, ob sie es war, die die Kriminalpolizei am 2. Juni angerufen und von einem Kerl auf einem Balkon gefaselt hat«, antwortete Rodin. »Dann sollen wir Granlund anrufen.«
    Sie passierten die Tulegatan, und Kvist sah hinauf zum Vanadis-lunden.
    »Warst du seit dem Mord da oben?« fragte er.
    »Ja. Du nicht?«
    »Nein, noch nicht«, antwortete Kvist.
    Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. Dann sagte Kvist: »Ich habe noch nie eine Leiche gefunden. Es muß scheußlich ausgesehen haben.«
    »Ja, verdammt scheußlich. Aber nur keine Angst, Junge, du wirst in diesem Beruf noch genug Leichen zu sehen bekommen.« »Warum bist du eigentlich zur Polizei gegangen?« fragte Kvist. Rodin antwortete nicht sofort. Schließlich sagte er: »Mein Vater war Polizist. Es schien nur natürlich, daß ich es auch werden sollte. Mutter war nicht sehr froh darüber, wie du dir vorstellen kannst. Und du? Warum bist du Polyp geworden?«
    »Um meine Pflicht der Allgemeinheit gegenüber zu erfüllen«, erklärte Kvist. Er lachte auf und fuhr dann fort: »Anfangs wußte ich nicht, was ich werden sollte. Ich hatte nur mittelmäßige Zensuren in der Schule. Aber beim Militär traf ich einen, der Polizist werden wollte. Er sagte, mein Zeugnis reiche für die Polizeischule. Außerdem fehlten Leute bei der Polizei… ja, da hat er mich überredet.«
    »Die Bezahlung ist ziemlich mittelprächtig«, meinte Rodin.
    »So schlimm finde ich sie nicht einmal«, entgegnete Kvist. »Ich hab vierzehnhundert Ausbildungsgeld bekommen, und nun

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