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Der Mann auf dem Balkon

Der Mann auf dem Balkon

Titel: Der Mann auf dem Balkon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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bin ich in der neunten Gehaltsstufe.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Rodin, »jetzt ist es auch besser als damals, als ich anfing.«
    »Du weißt ja«, sagte Kvist, »ungefähr achtzig Prozent von allen, die das Gymnasium besuchen, gehen weiter auf Fach oder Ingenieurschulen. Die Polizei muß sich aus den restlichen zwanzig Prozent rekrutieren. Und viele der zwanzig Prozent machen es wie du und ergreifen denselben Beruf wie der Vater. Nun war dein Vater zufällig Polizist.«
    »Ja, ohne Zweifel hätte ich auch denselben Beruf ergriffen, wenn mein Vater Müllkutscher gewesen wäre«, sagte Rodin.
    »Ich habe gehört, daß uns mindestens fünfzehnhundert Leute im ganzen Land fehlen«, fuhr Kvist fort. »Kein Wunder, daß wir so viele Überstunden machen müssen.«
    Rodin trat nach einem leeren Ölkanister, der auf dem Bürgersteig lag. »Du bist ja bestens über die Statistik orientiert. Willst du Polizeidirektor werden?«
    Kvist lachte leicht verlegen. »Ach wo, ich habe nur einen Artikel darüber gelesen. Aber es wäre gar nicht so dumm, Polizeidirektor zu werden. Wieviel verdient so einer wohl?«
    »Weißt du das nicht? Du bist doch sonst so gut informiert.«
    Sie waren am Sveavägen angelangt, und die Unterhaltung verstummte. Beim Kiosk an der Ecke vor dem Spirituosengeschäft standen zwei sichtlich angetrunkene Männer und stritten sich. Der eine hatte die Faust erhoben und versuchte, den anderen zu schlagen. Er war aber zu betrunken, und deshalb mißglückte es. Der andere wirkte etwas nüchterner und hielt seinen Angreifer mit ausgestrecktem Arm von sich fern. Schließlich verlor er die Geduld und warf den Angreifer zu Boden.
    Rodin seufzte.
    »Den da werden wir mitnehmen«, sagte er und überquerte die Fahrbahn. »Ich kenne ihn von früher, er fängt immer Streit an.« »Welchen von den beiden?« fragte Kvist.
    »Den, der am Boden liegt«, erklärte Rodin. »Der andere kommt alleine zurecht.«
    Sie gingen mit langen, schnellen Schritten auf die Männer zu. Ein Herumtreiber, der den Streit von der Grünanlage vor dem Restaurant Metropol aus beobachtet hatte, verzog sich eilends in Richtung Odengatan. Dabei warf er ängstliche Blicke über die Schulter zurück. Die beiden Polizisten hoben den Mann vom Bürgersteig auf. Er war in den Sechzigern, sehr mager und wog sicher nicht mehr als fünfzig Kilo. Ein paar Passanten vom Typ »anständiger Bürger« blieben in einiger Entfernung stehen und glotzten. »Na, Johansson, wie geht es dir heute?« fragte Rodin. Johansson ließ den Kopf hängen und machte einen lahmen Versuch, den Staub vom Mantel zu klopfen.
    »Guut«, sabberte er, »hab mich nur 'n bißchen mit meinem Kameraden unterhalten. Ganz friedlich.«
    Der Kamerad fühlte sich verpflichtet, sich einzumischen. »Oskar geht es gut. Er kommt fein zurecht.« »Ohne Zweifel«, bestätigte Rodin gutmütig. Er gab dem Kameraden einen Wink, sich zu trollen, und der eilte erleichtert davon. Rodin und Kvist griffen den anderen fest unter die Anne und gingen mit ihm auf die zwanzig Meter entfernte Taxihaltestelle zu.
    Der Taxifahrer sah sie kommen, stieg aus und öffnete die Tür zum Rücksitz. Er gehörte zu den Leuten, die zur Zusammenarbeit mit der Polizei bereit waren.
    »Nun fährt Johansson Auto«, sagte Rodin, »und dann wird Johansson schlafen.« Johansson krabbelte gehorsam ins Auto, sackte auf dem Rücksitz zusammen und war schon eingeschlafen. Rodin richtete ihn in der Ecke auf und sagte zu Kvist: »Ich bringe ihn hin. Wir treffen uns auf der Wache. Kauf unterwegs ein bißchen Gebäck.« Kvist nickte. Als das Taxi vom Bürgersteig herunterfuhr, ging er langsam zum Kiosk zurück. Er sah sich nach Johanssons Kameraden um und entdeckte ihn in der Surbrunnsgatan, einige Meter vor dem Spirituosengeschäft. Als Kvist ein paar Schritte in diese Richtung machte, winkte der Mann mit beiden Händen ab und ging hinauf zur Hagagatan.
    Kvist folgte ihm mit den Augen, bis er um die Ecke bog. Dann drehte er sich um und ging zurück zum Sveavägen.
    Die Verkäuferin steckte den Kopf aus dem Kioskfenster heraus.
    »Danke. Diese Kerle sind schlecht fürs Geschäft. Und immer treiben sie sich gerade hier herum.«
    »Der Spirituosenladen zieht sie an«, meinte Kvist.
    Leute wie Johansson taten ihm leid, und er wußte, daß ein großer Teil des Problems darin bestand, daß sie keine richtige Bleibe hatten.
    Er legte die Hand an den Mützenschirm und ging. Weiter unten auf dem Sveavägen entdeckte er eine Bäckerei. Er sah auf die Uhr.

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