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Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Der Mann auf dem blauen Fahrrad

Titel: Der Mann auf dem blauen Fahrrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Gustafsson
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zusammenzuhalten. Es geschieht so viel. So vieles ist in der Schwebe. Die Erinnerungen kommen, und man will sie nicht immer annehmen.
    Die Feste! Vielleicht war das der Grund, weshalb ich vor zwei Wochen diese idiotische Idee hatte, den Flügel stimmen zu lassen. Idiotisch! Er ist seit Jahren nicht gestimmt worden! Es ist lange her, dass es hier Feste gab. Als nicht nur mein Vater und mein Onkel, sondern auch viele andere noch lebten. Die jetzt fort sind. Den Flügel stimmen! Ja, es ist komisch, wie man sich an das Vergangene klammern kann, nicht wahr?
    – Daran habe ich auch gedacht. Ich kann verstehen, warum so etwas wichtig wird.
    – Es ist schwer, und es ist verlockend, jetzt daran zu denken. Gerade an einem solchen Abend. Der nur Stille, Wind und Leere birgt. Feste, die es gab, die einst gefeiert wurden. In diesem Raum. In den anderen Räumen. Und im Sommer, an einem lauen, gewöhnlichen Abend an gedeckten Tischen draußen im Park unter den Bäumen.
    – Ist das lange her?
    – Ja. Vielleicht nicht so viele Jahre, fünfzehn oder zwanzig. In den dreißiger Jahren. Vorkriegszeit, glauben Sie mir, damals konnte man tanzen! Die Gäste fuhren in Autos an der Auffahrt vor, in richtigen Autos, nicht in den heutigen Blechkisten, die Damen in Seidenkleidern, so lang, dass sie über den Parkettboden schleiften, und mit Perlenketten, Seidenschuhen und weißen Seidenstrümpfen. Die Herren im Frack. Und kein elektrisches Licht in den Lüstern. Nein, nicht an solchen Abenden. Da gab es nur Kerzen. Die die Mädchen von einer Leiter aus aufstecken mussten. Und die man mit einer besonders langen Kerze an einem langen Griff anzündete.
    Ja, Bälle und Feste, Verlobungen und Geburtstage und Hochzeiten und Taufen lösten einander damals in diesem Haus ab, bis der Weltkrieg begann. Damals gab es ja auch so viel mehr Familien hier in der Gegend, die einladen und Einladungen annehmen konnten: die Pipers auf Ängsö, die Trolles auf Almö-Lindö, die Stenbocks auf Tidö! Es gab Herbstbälle, wenn alle Kachelöfen brannten, dass die Luken klapperten. Und warm wurde es wirklich beim Tanz nach dem Essen. Die Herren schwitzten – viele von ihnen trugen Kadettenuniformen mit hohen Kragen – und die Damen hatten alle ihre eigenen Parfümdüfte. Als kleines Mädchen, erinnere ich mich, war ich so fasziniert von diesen Parfüms. Ich fand, manche rochen hell, fast grellweiß, während andere etwas Braunes, Erdiges und Würziges hatten.
    Können Sie mir folgen, Herr Friberg?
    – Ja natürlich, erwiderte der jetzt leicht ermattete Jan Friberg von Electrolux. Eigentlich sagen Sie, Frau Grane, ob es Ihnen nun bewusst ist oder nicht, dass Sie vor allem die Wärme vermissen, die es einmal gab.
    Freilich kann ich Ihnen folgen. Ich selbst habe etwas ganz Ähnliches empfunden: Verschiedene Instrumente haben verschiedene Farben, das Cello ist dunkelrot, die Bassgeige fast schwarz, der Geigenton hoch und hell und die Trompete funkelnd blau …
    – Genau!
    Das klang fast, als sei diese Herrenhausdame darüber erstaunt, dass es jemandem gelungen war, etwas von dem zu verstehen, was sie möglicherweise sagte. Janne hatte in diesem Augenblick den Eindruck, dass sie eine seltsame und bemerkenswerte Frau war. Von ihr ging – wie sollen wir es nennen – ein Magnetismus aus.
    – An den Frühlingsmorgen, ich meine Mitte Mai, pflegten die Feste draußen auf der Terrasse weiterzugehen. Mit Kaffee und Punsch. Und dann gab es ein Croquet-Spiel draußen auf dem Rasen.
    – Krocket vielleicht?
    – Ja, wir nannten es Croquet. Bei uns war es sehr wichtig, wie man die Dinge nannte. Man durfte zum Beispiel nie von jemand sagen, er führe nach London. Sondern man reiste dorthin.
    – Warum denn? Jan verwirrte diese ganz neuen Etikettenregel derart, dass er sich die Frage nicht verkneifen konnte.
    – Weil man in einem Fahrzeug fährt, hinter Pferden oder möglicherweise in einem Auto. Aber zu fernen Orten reist man. Ich mag den Unterschied. Sie nicht, Herr Friberg?
    Man spielte also Croquet, und es wurde heftig geflirtet, und hin und wieder gerieten die Herren darüber aneinander, wo die Kugel eigentlich lag und in welcher Reihenfolge man schlagen durfte. Aber es kam nie zu wirklich gefährlichen Streitereien. Und oft reisten die Gäste erst am dritten Tag wieder ab. Und in den Nächten nach den Festen, lange nachdem das Tanzorchester, das immer aus Västerås kam, abgereist war, war ein ständiges Getrappel da oben in den Korridoren zu hören.
    Diese Feste waren

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