Der Mann auf dem blauen Fahrrad
wohl eigentlich ziemlich sonderbar, aber ich glaube nicht, dass wir Kinder ganz verstanden, wie merkwürdig sie waren. Die Sitten hier im Haus zu Onkel Oswalds Zeit waren wohl ein wenig unkonventionell.
Daran scheint sich nicht besonders viel geändert zu haben, dachte Janne. Aber er hütete sich davor, etwas in dieser Richtung zu sagen.
– Oder besser gesagt, die Nachbarn waren ziemlich unkonventionell. Manche wollten im Sommer nicht in den Gästezimmern schlafen. Sie zogen das Segelschiff da unten am Kai vor. Eine gepflegte Ketsch mit zwei Masten, die Dununge hieß. Dort hinunter pflegten sie sich in der Dämmerung zu verziehen. Um zu baden und zu flirten und ich weiß nicht was noch alles. Doch, ich weiß es. Und wer durch die Bullaugen hineinschaute, erblickte einige unerwartete Dinge. Die unsere Phantasie in Bewegung brachten. Vielleicht in allzu starke Bewegung. Wir wuchsen hier auf dem Hof ein wenig außerhalb der gewöhnlichen Welt auf. Man könnte sagen, mit nur einem Bein in der gewöhnlichen Welt.
– Und mit dem anderen?
– Das ist nicht ganz leicht zu bestimmen.
Onkel Oswald war also erfolgreich, saß in Komitees und durfte Preise entgegennehmen. Doktor Österling lobte ihn in langen Rezensionen und bezeichnete ihn als Vorbild in Zeiten, in denen die Literatur von sinnlosen Experimenten und unglücklicher Auflösung der Form bedroht war. Seine Gedichtsammlungen ließ er in feinem Halbfranz binden und legte sie im Salon aus. Er schätzte es sehr, wenn die Gäste, die sich hierher verirrten, in ihnen blätterten.
Sie verstehen: Die Zeit der großen Feste war schon vorbei.
Und wiederum musste Janne den Impuls unterdrücken, eine Bemerkung zu machen.
– Er war kein ganz gewöhnlicher Poet mehr, sondern einer der Dichter des Landes, auf dem sicheren Weg zum Parnass. Er begann sich sogar etwas feierlicher zu bewegen, wenn er seine Spaziergänge unternahm. Und die wurden immer länger.
Dann, ohne ersichtlichen Grund, in einem Herbst gegen Ende der dreißiger Jahre, wurde er allmählich immer wunderlicher. Er stellte eigenartige Fragen. Seine Gedichte wurden immer unbegreiflicher. Fanden wir. Der eine oder andere Kritiker hingegen setzte seine Ehre darein, das Unbegreifliche zu erforschen. Auf seine eigene Art. Andere Kritiker – solche, die ihn in den Himmel gehoben hatten – schwiegen.
Er fragte, ob wir möglicherweise bemerkt hätten, dass sich eine unbekannte Person im Haus bewege. Das erschien natürlich allen als eine sehr merkwürdige Idee. Anfangs überlegten Emilia und die Cousinen, die über den Sommer hier waren, ob er nur scherzte. Oder hatte es vielleicht mit der poetischen Inspiration zu tun? Was für eine sonderbare Idee! Natürlich gab es niemand anders im Haus als diejenigen, die tatsächlich dort wohnten. Es ist ein ziemlich großes Haus. Größer als es von außen wirken kann, nicht wahr? Und es ist nur ein kleiner Teil, den Herr Friberg gesehen hat. Hier gibt es einen ersten Stock mit vielen Schlafzimmern, Gästezimmern, Rumpelkammern, in denen niemand mehr wohnen will, weil dort in früheren Zeiten Dinge geschehen sind, Dinge, an die sich niemand erinnern will.
Ich weiß nicht, ob Sie es bemerkt haben, Herr Friberg, aber die Treppen in diesem Haus knarren. Sowohl die große Treppe wie auch die kleine Hintertreppe von der Küche herauf. Sie knarren, wenn man darauftritt. Aber sie können auch knarren, ohne dass ein Mensch in der Nähe ist. Und natürlich knarren alle Parkettbohlen in allen Räumen. In alten Häusern ist das so.
Daran ist nichts Besonderes. Oder, Herr Friberg?
– Nein, das glaube ich nicht. Alte Häuser knarren.
– Aber Oswald bildete sich ein, Gott weiß warum, es gäbe wirklich jemanden, der nachts im Haus herumspazierte. Man könnte es ja als poetische Freiheit und künstlerische Phantasie oder dergleichen auffassen. Freunde und Besucher wussten nicht so genau, wann er es ernst meinte und wann er scherzte.
Aber das Sonderbare war, dass er behauptete, eine letzte Gedichtsammlung vollendet zu haben. Er wollte sie seinen Freunden zeigen. Außerdem wollte er ihnen bei einer besonderen Gelegenheit daraus vorlesen.
– Und die ergab sich nicht?
– Das tat sie nicht, nein.
– Wie schade. Ich habe ein wenig in den Gedichten Ihres Onkels gelesen. Sie sind so melancholisch. Und schön. Als bestünde die Schönheit im Leben tatsächlich darin, dass es sinnlos ist. Ich sitze hier und denke darüber nach, ob ich es möglicherweise selbst auch so sehe. Aber in
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