Der Mann aus dem Safe
befestigte.
»Bleib schön hier, Söhnchen. Ich bin gleich zurück.«
Er ging hinaus, um nach seinem Partner zu sehen. Ließ mich dort allein, mich und meine Handschellen.
Ich nahm sie genauer in Augenschein und erinnerte mich, was mir schon beim ersten Mal, als ich welche getragen hatte, aufgefallen war. Wie primitiv sie waren. Wie sich die Zahnreihe an dem Schließbügel in den Schlossteil einfügte, wie nur das die Schelle zusammenzuhalten schien …
Ich hörte den Mann nach seinem Partner rufen. Ich wusste nicht, wie viel Zeit ich hatte.
Am Ende der Kücheninsel sah ich eine Schere liegen. Konnte ich an sie herankommen, wenn ich den Arm ganz lang machte? Ich stand auf und versuchte es.
Streck dich, verdammt noch mal. Nur noch ein paar Zentimeter!
Die Handschelle schnitt schmerzhaft in mein linkes Handgelenk, aber mit einem letzten Zerren konnte ich einen Finger bis zum Scherengriff ausstrecken. Ich zog die Schere heran, dann nahm ich die Coladose und wechselte sie in meine gefesselte Hand. Ich griff wieder nach der Schere, stach mit der Spitze in das weiche Aluminium und begann zu schneiden.
Dabei schüttete ich Cola in der Gegend herum, aber das war egal. Als ich einen Streifen herausgeschnitten hatte, etwa drei Zentimeter lang und einen halben Zentimeter breit, legte ich die Dose weg und führte das Ende des Streifens in das Handschellenschloss ein.
Wenn ich das hier irgendwie über die Zahnreihe schieben kann, dachte ich, hat die Sperrvorrichtung keinen Angriffspunkt mehr, und der Bügel müsste einfach herausgleiten.
Das Metallstück war dünn und brüchig, und ich brauchte zu lange, um es hineinzufummeln. Verdammt! Von fern hörte ich schon Sirenen, bald würde die Polizei hier sein.
Entspann dich. Konzentrier dich. Nichts erzwingen. Lass das Teil einfach reingleiten. Schön über diese Zähne führen. Genau so. Noch ein bisschen. Und noch ein bisschen. Noch eine Kerbe …
Zack! Die Schelle war auf.
Gerade, als ich das Gesicht des Mannes wieder in der Küche erscheinen sah. Seine Augen wurden groß, als ich den Hocker umschmiss und zur Hintertür stürzte. Ich stieß sie auf und war draußen in der kalten Luft, rannte auf die Bäume zu, während er hinter mir herbrüllte.
Ich sah den letzten Toten, der das Quartett vervollständigte, Heckle oder Jeckle; er lag auf dem Rücken am Rand des Gartens, und seine leblosen Augen starrten zu mir herauf, als ich über ihn hinwegsprang. Die Stimme brüllte immer noch, dass ich stehen bleiben solle. Ich rannte in den Wald, die Zweige peitschten mir ins Gesicht. Ich lief, so schnell ich konnte, ignorierte die Schmerzgrenze, bis mir die Puste ausging. Blickte mich nicht um, bis ich sicher war, dass mir niemand folgte.
Ich lief weiter durch den Wald, auch als die Sonne schon unterging. Versuchte, so rasch wie möglich voranzukommen, und sah alle paar Sekunden über meine Schulter. Als ich an einen Bach kam, wusch ich mir das Blut im Gesicht und an den Händen ab. Das Wasser war so kalt, dass es brannte. Meine Jacke war mit dem Inhalt von Großmauls Schädel vollgespritzt, und ich bekam sie nicht mal annähernd sauber, so dass ich sie ausziehen musste, obwohl es dafür nicht warm genug war. Schon gar nicht, um so lange draußen in den Wäldern zu sein.
Ich stolperte weiter und versteckte mich hinter Bäumen, als ich in der Ferne Sirenen hörte. In meiner Phantasie sah ich einen Trupp Männer auf meinen Fersen, der mit Schlagstöcken durch das Unterholz brach und von einem Rudel bellender Bluthunde angeführt wurde.
Irgendwann stieß ich auf einen Bahnhof. Mehrere Taxis warteten davor, deren Fahrer draußen zusammenstanden und rauchten. Ich ging weiträumig um sie herum und näherte mich den Bahnsteigen von den Gleisen her. Es waren keine Züge zu sehen, aber ich hoffte darauf, noch einen zu erwischen, der mich zurück nach New York City brachte.
Die Tür zum Wartesaal war abgeschlossen. Ein Schild teilte mir mit, dass die Öffnungszeit um neun endete und dass ich, falls ich noch nicht im Besitz einer Fahrkarte sei, diese im Zug erwerben könne. Ich sah auf die Uhr dort drin und stellte fest, dass es schon fast zehn war. Wann der nächste Zug kommen würde, wusste ich nicht. Ein kalter Windstoß traf mich, und ich fing an zu zittern.
Ich blickte zu den Taxifahrern hinüber. Auf keinen Fall konnte ich mich ihnen nähern. Ein siebzehnjähriger Junge ohne Jacke und mit immer noch nassen Haaren. Die Polizei suchte zweifellos schon nach mir und hatte nach
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