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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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meinem kurzen Gewahrsam eine gute Personenbeschreibung. Selbst der Zug würde riskant sein, aber was blieb mir anderes übrig?
    Ich setzte mich und lehnte den Rücken an die kalte Backsteinmauer, wartete darauf, das Heranrollen eines Zuges zu hören. Ich fror und war obendrein nun auch noch schrecklich hungrig. Zwischendurch musste ich eingenickt sein, denn plötzlich wurde ich vom Zischen der Druckluftbremsen eines Schnellzuges geweckt. Der Zug stand direkt vor meiner Nase, riesig und brummend. Ich erhob mich langsam, so steif wie ein Neunzigjähriger. Die Türen gingen auf, und Leute stiegen aus. Gutgekleidete Männer zumeist, ein paar Frauen, alle auf der späten Heimfahrt von der City. Jetzt waren sie bereit für eine gute Mahlzeit im Kreis ihrer Familie. Ich hielt mich am Rand des Geschehens wie ein herrenloser Hund.
    Dann ging mir auf, dass dieser Zug ja aus New York kam und weiter gen Osten fahren würde, tiefer nach Connecticut hinein. Vielleicht sollte ich trotzdem einsteigen, überlegte ich. Machen, dass ich hier wegkam.
    Nein, sagte ich mir dann. Das will ich nicht. Ich will zurück nach Hause, auch wenn mein Zuhause nur aus einem illegalen Zimmer über einem Chinarestaurant besteht. Einen anderen Platz auf der Welt hatte ich nicht, und ich hätte alles dafür gegeben, dorthin zurückzukönnen.
    Die meisten Fahrgäste stiegen jetzt in ihre Autos. Ließen den Motor an, schalteten die Scheinwerfer ein, fuhren davon. Ein paar nahmen sich ein Taxi. Ich hatte nun zwei Möglichkeiten. Entweder auf einen Zug in westliche Richtung warten oder so tun, als wäre ich gerade mit diesem hier gekommen. Mich unter die Leute mischen, in ein Taxi steigen und mich in die Stadt fahren lassen.
    Es waren nur etwa sechzig Kilometer dorthin, das wusste ich. Nicht gar so abwegig also, besonders wenn ich dem Fahrer vorher einen Batzen Geld zeigte. Ich hatte ein paar hundert Dollar bei mir, einen Teil des Geldes, das Großmaul mir in der Nacht zuvor gegeben hatte. Ich nahm fünf Zwanziger heraus und stellte mich hinter den letzten Mann, der auf sein Taxi wartete. Als ich an die Reihe kam, war nur noch eines übrig. Ein gutes Omen, dachte ich. Der Fahrer würde froh sein, mich als Kunden zu bekommen.
    »Wo möchten Sie hin, Sir?« Der Fahrer war schwarz und hatte einen weichen, karibischen Akzent. Aus Jamaika vielleicht.
    Ich machte die Geste des Schreibens. Er sah mich verwirrt an, bis er es schnallte. Dann holte er einen Kuli hervor und riss ein Blatt aus dem Notizbuch, das er neben sich auf dem Sitz liegen hatte. Er beobachtete mich beim Schreiben. Dieser leicht belustigte Gesichtsausdruck, mal was anderes, ein Junge, der sich schreibend mit mir verständigen muss, was passiert als Nächstes? Die übliche Situation, die ich sonst so hasste, doch an diesem Abend kam es mir nur darauf an, dass der Mann mich möglichst schnell verstand.
    Ich muss in die City,
schrieb ich.
Ich weiß, dass das teuer wird.
    Ich gab ihm Zettel und Stift zurück und zeigte ihm dann die Zwanziger in meiner Hand.
    »Ich soll Sie den ganzen Weg bis dorthin fahren?« Dieser singende, rhythmische Tonfall. »Dann müsste ich Ihnen auch den Rückweg berechnen.«
    Ich nickte. Einverstanden, guter Mann. Drück auf die Tube.
    Er war noch nicht so weit. Musterte mich von Kopf bis Fuß.
    »Ist alles okay mit Ihnen, junger Mann? Sie scheinen mir nicht ganz in Ordnung zu sein.«
    Ich hob die Hände. Mir geht’s bestens, kein Problem. Danke der Nachfrage.
    »Sie sind nass und frieren. Bitte steigen Sie ein.«
    Aber gern, dachte ich. Ich stieg ein und zählte die Sekunden, bis er endlich den Gang einlegte und vom Bahnhof wegfuhr. Meine Ohren klangen noch von dem Gewehrschuss. Ich roch immer noch das Blut. Ich wusste nicht, ob der Fahrer es auch roch oder ob ich es bloß in der Nase hatte. Wahrscheinlich würde ich es bis ans Ende meines Lebens riechen.
    Der Taxifahrer griff zu seinem Funkgerät. Das war’s, dachte ich. In der Zentrale werden sie von der Suche nach dem fünften Mann wissen, dem Flüchtigen. Gleich wird er sich umdrehen und mich ansehen und sofort im Bilde sein. Wenn ich Glück habe, fährt er uns nicht in den Straßengraben, sondern sagt nur ruhig, dass ich mich zurücklehnen und keinen Unfug machen soll, weil er jetzt umkehren und mich zur nächsten Polizeiwache bringen muss.
    Aus irgendeinem Grund wusste der Disponent jedoch noch nichts davon. Dem Himmel sei Dank für die schlechte Kommunikation zwischen der Polizei und den öffentlichen

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