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Der Mann aus dem Safe

Der Mann aus dem Safe

Titel: Der Mann aus dem Safe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Hamilton
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natürlich wusste ich, dass es falsch war, hier zu sein, aber irgendwie galt das nicht für mich, weil ich gute Absichten hatte und nie etwas tun würde, um ihr zu schaden. Es erschreckte mich vielmehr, dass es so einfach war, dass jeder, der es wirklich wollte, schon morgen Nacht in meine Fußstapfen treten und hier stehen könnte.
    Niemand ist sicher. Nie. Nirgends.
    Ich schlich mich hinaus, durch den Flur, die Treppe hinunter, durch die Hintertür und hinaus in die Nacht. Zurück zum Auto, dann der ganze Weg nach Hause. Ich versuchte, eine Weile zu schlafen, aber es war nichts zu machen.
    Es wurde Morgen. Ich war so müde, dass ich mich nicht mal im Spiegel ansehen wollte. Ich duschte, zog frische Sachen an und fragte mich, wie sie wohl auf meinen Comicstrip reagieren würde. Plötzlich erschien er mir als der größte Fehler in der Geschichte der Menschheit.
    »Wenn sie mich darum bitten würde, würde ich bis zum Mittelpunkt der Erde für sie graben.« Das hatte ich doch tatsächlich schwarz auf weiß geschrieben.
    Als ich zum Haus kam, ging ich nach hinten, nahm den Spaten und machte mich an die Arbeit. Die Grube näherte sich inzwischen einem Kinderbecken von akzeptabler Größe an. Mit dem tiefen Ende hatte ich noch gar nicht begonnen, aber was soll’s, darüber würde ich mir heute keine Gedanken machen. Ich hielt nach Amelia Ausschau. Sie war nirgends zu sehen.
    Ich habe sie vergrault. Das Ganze war vollkommen falsch und dumm. Ich sollte mich auf der Stelle selbst mit dem Spaten erschlagen.
    Mit diesen halb wahnsinnigen Gedanken musste ich die nächsten vier Stunden zubringen. Wieder ein heißer Tag, wieder eine halbe Tonne Erde in den Wald zu karren. Als es vier Uhr wurde, schleppte ich mich zum Auto. Das war’s, dachte ich. Noch einen Tag überleb ich nicht.
    Als ich die Wagentür öffnete, traute ich zuerst meinen Augen nicht. Ein Umschlag lag auf dem Fahrersitz. Derselbe, den ich in Amelias Zimmer gelegt hatte. Ich nahm ihn und setzte mich hinters Steuer. Hielt ihn einen Augenblick in der Hand. Mein Herz hämmerte. Dann machte ich ihn auf.
    Es war mein Comicstrip. Offensichtlich ein deutliches »Nein danke«. Zurück an den Absender. Ihr Angebot entspricht derzeit nicht unseren Vorstellungen.
    Aber halt, da war noch etwas. Ein zweites Blatt. Ich zog es heraus. Noch ein Comicstrip? Weitere Bilder?
    Genau das war es.
    Amelia hatte die zweite Seite gezeichnet.
     
    Also, ich muss das alles gar nicht vor mir haben, auch so viele Jahre später nicht, um es Ihnen genau zu schildern. Ich brauche nur die Augen zuzumachen und sehe es vor mir, Panel für Panel. Jede kleinste Einzelheit. Sie war eine bessere Künstlerin als ich, das war das Erste, was mir auffiel. Vielleicht nicht unbedingt technisch gesehen, aber sie hatte es raus, speziell in diesem Medium, alles auf das Wichtigste zu reduzieren, ohne etwas unter den Tisch fallen zu lassen. Einfache, klare Linien. Ihr Gesicht. Mein Gesicht. Der Spaten über meiner Schulter, eine Hand, die auf dem Griff ruhte.
    Auf ihrem ersten Panel stand sie am Rand der Grube und sagte: »Dann müsstest du ja deine Pose aufgeben.« Ihr Abschiedsgruß an mich an jenem Tag, den ich weggelassen hatte. Zweites Panel, sie ging davon, Wut im Gesicht. Ein pechschwarzer Schnörkel in der Luft über ihrem Kopf.
    Drittes Panel, sie im Haus. Der verhasste Zeke mit einer Flasche in der Hand vorm Fernseher. Sein Zopf um den Hals gelegt, er hängt ihm bis auf die Brust. »Was ist los?«, sagt er. Amelia antwortet: »Nichts.«
    Nahaufnahme von Amelia, Zekes Worte kommen von außerhalb des Rahmens. »Ich finde, wir sollten heute Abend auf diese Vernissage gehen. Linda ist echt cool und hat total viel Talent, und wenn wir bis …« Der Rest verschwindet hinter Amelias Kopf. Sie ignoriert ihn, und in ihrer Gedankenblase steht: »Vielleicht bin ich zu streng mit ihm.« Damit bin ich gemeint.
    Nächstes Panel, noch mehr Sätze aus dem Off. »Hörst du mir überhaupt zu? Mensch, was hast du eigentlich heute?« Amelia steht am Fenster und sieht hinaus, denkt: »Wir sind gar nicht so verschieden, oder?
Wenn
er mit jemandem reden kann, dann mit mir.«
    Letztes Panel, ich, durch das Fenster gesehen. Gebückt schaufele ich eine Ladung Erde heraus. Amelias Gedanken am unteren Rand. »Warum lässt es mir keine Ruhe, dass er es nicht tut?«
    Ende der Seite. Ich saß lange dort und sah sie mir an. Irgendwann merkte ich, dass Mr. Marsh mich von der Veranda vorm Haus anstarrte. Ich legte den

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