Der Mann aus Israel (German Edition)
rechneten wohl damit,
dass diese Europäer bald aufgäben und wieder abzögen. Aber, beseelt von der
Kraft einer Vision, krempelten die Siedler die Ärmel hoch und machten das Land
urbar. Bis zu den Knien im Sumpf, den Malaria-Mücken und der unerträglichen,
ungewohnten Hitze ausgesetzt, ließen sie nicht locker. Und sie schafften es.
Nach einem Jahr Schinderei konnten sie zum ersten Mal Saatkörner auf ihren
eigenen Boden streuen. Ihre dörfliche Siedlung nannten sie Rosch Pina, den
Grundstein, denn sie waren überzeugt davon, dass Rosch Pina nur die erste von
vielen Siedlungen war, die das Hula-Tal in einen blühenden Garten Eden
verwandeln würden. Sie sollten Recht behalten. Aber das ist alles lange her. Die
Nachkommen der Siedler der ersten Stunde bilden heute so etwas wie die
Aristokratie des Landes, ein wenig verstaubt sind sie schon, puristisch und
altmodisch, mit einem sehr deutlich ausgesprochenen, fast gezierten Hebräisch,
mit dem sie sich von der schlampigen Umgangssprache von heute deutlich
unterscheiden. In Rosch Pina haben sie höchstens noch ihr Wochenendhaus oder
ihren Alterssitz. Sie lieben ihren Beethoven und Schubert sehr, ihre Landsleute
aus den orientalischen Ländern weniger.
In Gadot herrscht Hochbetrieb. Wie die Ameisen wuseln die
unzähligen Soldaten in ihren braunen Uniformen auf dem Gelände herum. Ob
Mädchen, ob Mann, den meisten baumelt ein Maschinengewehr um die Schultern. Wie
bei einem internationalen Jugendtreffen sieht es hier aus, so unterschiedlich
ist das Äußere der jungen Israelis. Hochgewachsene Blondinen mit langem
Engelshaar, Rothaarige, Schwarzgelockte, Hellhäutige, Bronzefarbene, ein Meer
von Schönheiten. Auch bei den jungen Männern reicht das Spektrum vom
sportlichen kalifornischen Beachboy zum Südaraber mit langbewimperten Glutaugen
und Augenbrauen, die aussehen wie nachgemalt. Der große Sozialisierungsfaktor
des Landes, das Militär, bringt die aus allen Himmelsrichtungen Stammenden
unter einen Hut. Gleiche Uniform, gleiche Sprache, Wurzeln der Identität.
Alle scheinen gleichzeitig zu reden, zu rufen, zu singen.
Sie sitzen auf ihren Gepäcksäcken oder lehnen in den billigen, weißen
Plastikstühlen, die Füße in den schweren Militärstiefeln weit von sich
gestreckt oder auf die Sitze leerer Stühle gelegt. Völlig ungeniert sitzen die
Pärchen einander auf dem Schoss, küssen sich und stöhnen dabei. Ein lässiges
Durcheinander. Wo gibt es denn so etwas, denke ich, Hunderte von Soldaten, bis
unter die Zähne bewaffnet, die keinerlei Bedrohung ausstrahlen. Ganz im
Gegenteil, es wirkt alles sehr vergnüglich und entspannt.
Ich steige lachend aus dem Bus. Was für ein Land! Neben dem
Bus, an einer kleinen Mauer, lehnen einige ganz schwarzhäutige Soldaten. Die
müssen äthiopischen Ursprungs sein, denke ich. Wieso stehen sie abseits?
Ausgegrenzt? Ich hoffe, dass ich mich täusche.
Meine Gruppe klettert aus dem Bus. Der Ort scheint ihnen den
Appetit verschlagen zu haben. Sie stehen wie angewurzelt da und gaffen die
jungen Leute an. „Da ist ja ein richtig Schwarzer.“ höre ich die verblüffte
Stimme von Frau Vogel, unserer diskreten Bavaria. Sie deutet auf einen der
Äthiopier. „Ja, was ist denn das? Ein Judenkapperl hat er auch noch auf dem
Kopf.“ Ich hole schon Luft, um ihr scharf ins Wort zu fallen. Aber Raffael gibt
mir einen kleinen Stoß und flüstert mir zu „Lass doch, Elisabeth. Es hat keinen
Sinn.“ Hoppla, denke ich, das klingt ja beinahe freundschaftlich. Bin ich etwa
in die Heiligen Hallen aufgenommen? Würdig, ein innerjüdisches Problem zu teilen?
„Okay“, sage ich dankbar. „ich halte den Mund.“
Es bleibt uns nichts anderes übrig, wir müssen uns unter die
Soldaten mischen. Wir reihen uns in die lange Schlange an der Essensausgabe
ein. Die jungen Leute stoßen und schubsen, greifen über die Tabletts der
anderen, öffnen die Cola-Flaschen mit den Zähnen und spucken die Deckel auf den
Boden.
„Na, sehr diszipliniert ist die israelische Armee aber
nicht.“ flüstert mir Herr Rütimeier ins Ohr. Ich halte mich an Raffaels
Redeverbot und lache blöd. Warte nur, denke ich, bis wir in Jerusalem sind.
Dann wirst Du diese Youngsters knallhart und eisern im Dienst erleben. Das wird
Dir dann auch wieder nicht gefallen.
Stumm stehen die Reisenden aus Deutschland in der Reihe.
Sie benehmen sich völlig defensiv. Die Augen wandern gespannt hin und her, aber
keiner versucht ein Wort mit den Soldaten zu wechseln oder ein
Weitere Kostenlose Bücher