Der Mann aus Israel (German Edition)
dienen dem Sischerheit.“ Wieso macht er denn plötzlich so viele
Fehler in seinem Deutsch? Na, wenigstens redet er, auch wenn es klingt, als sei
es ein Roboter, der da spricht. Ich verstehe nicht, was er hat. Ich schaue ihn
von der Seite an, sein Gesicht ist ganz erstarrt. Es kann doch nicht sein, dass
er wegen dieses kleinen Umwegs so erbost ist. Aber was ist denn dann? Ich
verstehe ihn nicht. Es ist doch so schön hier oben. Die wenigen, nicht
abgeernteten Getreide-Ähren schaukeln im Wind. Überall Obstplantagen und
Weinberge, grasende Kühe, Fischteiche, auf denen sich weiße Reiher tummeln. Bis
dicht an den Stacheldraht, hinter dem das verminte Niemandsland zu Syrien
beginnt. Aber Minen kann man ja nicht sehen. Auch auf syrischem Gebiet wiegen
sich die Gräser und Halme im Wind. Ein friedlicheres Bild lässt sich nicht
denken, Weite, Ruhe, Schönheit. Eine trügerische Idylle, ich weiß, die Tragik
liegt in der Luft. Der Schönheit tut das aber überhaupt keinen Abbruch.
Raffael lässt den Bus an einer Art Aussichtsterrasse
anhalten, ich kann nicht genau erkennen, was es ist. Bäume und Büsche stehen
dort und viele Metallkörper. Was hat er denn da wieder für einen merkwürdigen
Ort ausgesucht? Aber ich nehme mich zurück und sage nichts. Immerhin hat er uns
heraufgebracht, hat ein bisschen erzählt, wenn auch sehr verhalten. Aber es mag
sein, dass die Leute gerade durch seine Einsilbigkeit beeindruckt sind. Jeder
konnte ja spüren, dass ihm das Reden schwer fiel, die Stimme war bedrückt und
leise. Und die vielen Fehler plötzlich im Deutschen. Es klang, als ob er jedes
Wort aus dem Hebräischen übersetzen müsste, bevor er es herausquetschte. Ganz
eigenartig. Ich hoffe, die Gruppe nimmt sein Gehabe als Ausdruck einer starken
Emotionalität, einer Bedrücktheit wegen der unlösbar scheinenden Probleme, die
sein Land belastet, Raffael gewissermaßen als pars pro toto. Der leibhaftige
Mythos Israel auf dem Beifahrersitz.
Ich interpretiere sein Gestammel eher als flegelhafte
Reaktion eines israelischen Machos, der sich gegen eine Frau nicht durchsetzen
konnte. Er tut weiterhin so, als sei ich Luft, überhaupt nicht vorhanden,
völlig unwichtig. Großes Maul und kleiner Schwanz, denke ich giftig.
„Du kannst die Leute eine halbe Stunde Zeit geben.“ sagt er
zu mir. Ich befolge seinen Befehl. „Das hier ist eine Erinnerungsstätte an die
Kämpfe von 1973. 27 israelische Soldaten haben dabei den Tod gefunden. Für
jeden wurde ein Baum zur Erinnerung gebaut.“ erzählt er weiter. Ich muss
lachen, Baum gebaut , wie das klingt. „In der Mitte steht der Rest eines
eroberten syrischen Panzers mit einer Gedenktafel.“ Damit entlässt Raffael die
Gruppe.
Der Platz ist nicht schlecht. Hoch oben auf dem Golan,
hinter uns, auf der höchsten Bergspitze thronen die „Ohren Israels“, die
hypermoderne Überwachungszentrale, ein Argument von vielen, weshalb der Golan
nicht geräumt werden soll. Jeder Atemzug der feindlichen Seite wird hier
registriert und ausgewertet. Von der schattigen Terrasse des Kriegermemorials
aus schauen wir hinunter ins Tal, Damaskus ist nur siebzig Kilometer entfernt,
man kann es in der Ferne ahnen. Wir sehen die Patrouillenstraße im
Niemandsland. Ein weißer Jeep der UNO fährt auf der staubigen Piste. Man kann
die Stimmen der Soldaten hören, die Sprache, in der sie sich zurufen, lässt
sich nicht verstehen. Aber ich weiß, dass es deutsch ist. Hier oben im kargen
Drusenland tun österreichische Gebirgsjäger Dienst.
Mein Blick schweift hinüber nach Qunaitra, dem ehemaligen
Hauptort des syrischen Golangebietes. Die Israelis haben die Stadt 1967
vollkommen zerbombt. Kein Stein blieb auf dem anderen. Die Hauswände, aus den
Verankerungen gerissen, ragen wie Skelette kreuz und quer aus den
Bombentrichtern. Nur die christliche Kirche blieb heil und mit ihr der
Glockenturm. Die Syrer haben seither keine Aufräumarbeiten geleistet in
Qunaitra. Jedem Besucher wird der zerstörte Ort gezeigt. Schaut her, so böse
sind die Israelis! Dafür dient der brutale Anblick bestens. Bis vor
kurzem konnte der Kirchturm noch bestiegen werden. Von dort oben ist der Blick
noch eindrucksvoller auf so viel Zerstörung. Aber man vergaß, den Kirchturm
instand zu halten, jetzt fällt er langsam in sich zusammen. Seither ist die Tür
zum Aufgang verschlossen.
Oft schon bin ich auf der anderen Seite gestanden, hinter
dem syrischen Stacheldraht, auf einem kleinen Sandhaufen, der dort als
Aussichtspunkt
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