Der Mann aus Israel (German Edition)
umkamen, die Ernten beschädigt oder vernichtet wurden. Erst seit dem
Sechs-Tage-Krieg ist Ruhe hier oben. Ein gewaltiger landwirtschaftlicher
Aufschwung ist die Folge. Ich muss den Leuten sagen, dass sie unbedingt den
Golan-Wein probieren müssen, denke ich, heute Abend auf der Terrasse des
Hotels. Tausend Sachen fallen mir ein, die ich erzählen möchte. Die Geschichte
mit den Kühen, die die Israelis nach der Eroberung über die Felder trieben, um
Verminungen zu orten. Seither gibt es so viele dreibeinige Kühe auf dem Golan.
Oder den tollkühnen Trick des israelischen Agenten Eli, der den Syrern
weismachte, sie müssten über jeden Unterstand auf dem Golan einen Baum
pflanzen, weil die armen Soldaten sonst in der Hitze umkämen. Die Syrer
glaubten ihm. Die syrischen Posten waren danach mit einem Bäumchen versehen,
eine leicht erkennbare Zielscheibe für das israelische Militär. Sie wurden alle
ausgehoben. Der Spion zahlte den Dienst an seinem Vaterland mit dem Leben. Er
wurde auf dem öffentlichen Hinrichtungsplatz in Damaskus aufgehängt.
„Jetzt sag` doch endlich mal etwas! Erzähl! Mensch, hier
oben gibt es doch so viel zu erzählen.“ fordere ich Raffael auf. Er schaut
geradeaus, stur, der weiche Mund ist nur noch ein harter Strich.
„Ich bin doch da. Was willst Du noch mehr?“ zischt er mich
an. Ich kann es nicht fassen. Hier oben schweigen, das kommt nicht in Frage.
Hier lassen sich die Traumata der Israelis erklären, ihre Sturheit und ihren
Sicherheitswahn begründen. Wenn nicht hier, wo dann kann Verständnis für sie
und ihre harte Haltung geweckt werden. Ich kann mich vor missionarischem Eifer
kaum noch halten. Ich stoße Raffael in die Rippen und sage „Also, gut, dann gib
mir das Mikrophon.“
Aber das will dieser Büffel nun auch wieder nicht. Einer
Fremden ein so heikles Thema wie die Besatzungspolitik zu überlassen, kommt
überhaupt nicht in Frage. Er schaltet das Mikrophon nun endlich ein und fängt
an zu erzählen. „Erdgeschichtlich ist der Golan Teil des großen Grabenbruchs,
der in Süd-Nordrichtung als eine Folge des Auseinanderdriftens von Afrika und
Arabien vor etwa vierzig Millionen Jahren entstand. Vorher, im Präkambrium, das
etwa vor 550 Millionen Jahren endete, gehörte das Gebiet noch zu einer großen
Gebirgskette, die später zu einer Hochebene erodierte.“ Ich glaube, ich höre
nicht richtig. Will er uns jetzt einen Vortrag über die geologische
Beschaffenheit des Golan halten? Aber das interessiert doch keinen Menschen,
denke ich. Na, vielleicht holt er nur ein wenig weit aus, um dann auf die
momentanen, politischen Umstände einzugehen. Die Israelis können es ja oft
nicht lassen, die Erklärungsreise möglichst weit zurück in der Historie
anzusetzen, um dann sehr geschickt, unter Einbezug des Alten Testaments und der
darin enthaltenen Legitimation zur Gründung ihres eigenen Staates, zum modernen
Problem zu gelangen.
„Es schlossen sich Senkungsprozesse an, in deren Folge die
Region vom Meer bedeckt war, besonders der nördliche Teil. In der Zeit der
Grabenbildung wurde das Land angehoben und die jahrtausendelange Erosion gab
ihm das Gepräge, wie es sich heute darstellt.“
Ich halte das nicht aus, denke ich. Wir fahren an Merom
Golan vorbei, dem ersten Kibbuz, der schon einen Monat nach Kriegsende im
Juli 1967, gegründet worden war. Inzwischen, bald dreißig Jahre später, sind es
28 Kibbuzim, die hier oben mit einer eifrigen Siedlungspolitik den Status quo
festschreiben wollen. Das muss man doch sagen, denke ich. Ich rutsche ganz
verzweifelt auf meinem Sitz hin und her. Wenn er nicht endlich aufhört mit
seiner Geologie, reiß ich ihm das Mikro aus der Hand. Ich höre ihn von
parallelen Gesteinsbändern erzählen, von Lava-Adern, die aus dem Erdinnern in
die Spalten der brechenden Kruste einsickerten.
„Verdammt noch mal, jetzt komm` doch endlich zur Sache.“
fahre ich ihn an. Er schießt mir einen Blick zu, wie aus einer Laserkanone. Ich
kann ihn spüren, der Strahl tut weh.
„Wir Israelis wollen in Frieden leben, nicht in Frieden
ruhen.“ beginnt er mit schmalen Lippen. Seiner Stimme fehlt jede Betonung. „So
lange wir hier oben sind, wird Frieden sein. Sie sehen ja selber, wie
Nord-Israel als einen Präsentierteller den Syrern zu Füssen lag. Sie hatten
freien Schussfeld, bis 1967. Es wurden mehr als 400 syrische Angriffe auf
Siedlungen im Nähe des Golans zwischen 1948 und 1967 gezählt. Seither ist Ruhe.
Die Siedlungen
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