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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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hochziehen, indem er die Fugen zwischen den Steinen als Griffe und Tritte benutzte. Und meiner Ansicht nach gibt es nur einen einzigen Mann, der ein solches Akrobatenkunststück zuwege bringt. Tja, und damit wäre ich bei meinem Auftrag angelangt …«
    Von der Halle her kam Stimmengewirr. Eine Gruppe von Handelsvertretern, die am Salon vorbei gleich zur Bar gegangen waren. Brown hatte seine Beine wieder andersherum übereinandergeschlagen.
    »Der alte Mitchel ist gar nicht so übel. Es gibt zwar Leute, die behaupten, er habe ein Vermögen angesammelt, indem er dreißig Jahre lang alle möglichen Artisten für sich arbeiten ließ, zuerst in der Provinz, dann in London. Nun, ich kann Ihnen versichern, daß dem nicht so ist und daß die erwähnten fünftausend Pfund der größte Teil dessen sind, was ihm für die Mitgift seiner Tochter und seinen Lebensabend bleibt.
    Er hat mich in sein Büro gerufen, das Büro, das Sie kennen. Er hat mir mitgeteilt, es liege ihm nichts daran, den Dieb der Bestrafung zuzuführen. Das Geld jedoch, oder wenigstens den größten Teil, müsse er um jeden Preis zurückhaben. Sie verstehen, was das heißt, nicht wahr?«
    Brown schien eine ausgedörrte Kehle zu haben, denn er nahm einen großen Schluck Whisky, den er eine Weile im Mund behielt.
    »Wir sind in Frankreich, Mr. Brown, was Ihnen sehr zustatten kommt. Mitchel würde sich damit zufriedengeben, die fünftausend Pfund zurückzubekommen und Ihnen die Einnahmen der beiden Samstagsvorstellungen überlassen.«
    Darauf trat Stille ein. Vom Billardtisch her, der in der Nähe der Bar stand, hörte man das Aufschlagen der Kugeln an der Bande, aber man konnte weder den Tisch noch die Spieler sehen. Das Nebelhorn von der Mole war wie eine dumpfe und feierliche Untermalung.
    »Wissen Sie, Mr. Brown, was ich, Inspektor Molisson, diesem armen alten Mitchel geantwortet habe …? Ich habe ihm wörtlich gesagt:
    ›Ich will versuchen, einen bestimmten Mann ausfindig zu machen, den wir bei Scotland Yard nur den Pechvogel nennen. Dieser Mann ist von einer nicht zu überbietenden Geschicklichkeit. Eine Fliege könnte nicht mit größerer Leichtigkeit die Wände hinauflaufen. Aber das erste Mal hat er unter Zurücklassung seiner Beute über die Dächer flüchten müssen. Das zweite Mal ist er auf der Straße angefallen worden, als er mit seinem Diebesgut auf dem Heimweg war, und beim dritten Mal schließlich waren die gestohlenen Papiere gefälscht.
    Wenn ich ihn nun zu Hause antreffe, in Newhaven‹, habe ich hinzugefügt, ›bei seiner netten kleinen Frau mit den beiden Kindern, dann komme ich leicht mit ihm klar, denn im Grunde ist dieser Pechvogel gutartig und würde keiner Fliege etwas zuleide tun. Wenn ich ihn aber erst treffe, wenn er schon Gelegenheit hatte, mit einem gewissen Teddy zusammenzutreffen, dann wird es schwierig …‹
    A propos: Haben Sie Teddy nun getroffen oder nicht?«
    Brown verbrannte sich die Finger an dem kurzen Zigarettenstummel.
    »Um wieviel handelt es sich, haben Sie gesagt?« seufzte er.
    Inspektor Molisson klopfte an sein Glas, um noch einen Whisky zu bestellen.
    »Fast sechstausend Pfund insgesamt«, antwortete er.
    »Mein Zimmer haben Sie natürlich schon durchsucht.«
    »Ich habe mich auf unsere Freundschaft berufen und um das daneben liegende Zimmer gebeten. Das Türschloß zu Ihrem Zimmer war nicht ganz in Ordnung, wie mir scheinen wollte.«
    »Waren Sie bei mir zu Hause in Newhaven?«
    »Ja. Ihre Frau hat mir sogar Tee angeboten. Sie war gerade dabei, die Kleinen zu baden. Übrigens, der Größere ist sehr kräftig für sein Alter.«
    »Was hat sie Ihnen gesagt?«
    »Daß Sie von Ihrer Firma wieder nach Amsterdam geschickt worden seien. Es ist nicht nett, seine Frau so zu belügen. Ach so, daß ich’s nicht vergesse: Auf dem Buffet war eine Mahnung wegen einer Gasrechnung. Ihre Frau ist rot geworden und hat sie rasch in eine Schublade gesteckt, als sie meinen Blick bemerkte.«
    Brown kippte sein zweites Glas Whisky hinunter und stand auf.
    »Nun, was kann ich dem alten Mitchel sagen?«
    Der Inspektor ließ nicht locker.
    »Ich habe ihm versprochen, ihn noch heute abend anzurufen. Nur unter dieser Bedingung hat er davon Abstand genommen, persönlich hierherzukommen. Stellen Sie sich vor, er wollte Sie absolut selbst sprechen, Sie überzeugen. Er muß doch schon an die zweiundsiebzig sein, der alte Knabe!«
    »Kann ich mal in mein Zimmer rauf?« fragte Brown.
    Statt einer Antwort stand der Inspektor ebenfalls

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