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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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allem an den Calvados im Café Suisse dachte er gern zurück; das Café Suisse war ja auch keine gewöhnliche Kneipe, sondern das schönste Café in der ganzen Stadt.
    Draußen, inmitten des Lärms, der Menge, dem ganzen Leben und Treiben konnte man viel besser nachdenken. Da machte man nicht aus jeder Mücke einen Elefanten. Er zog sich an. Seine Frau hörte ihn rumoren und kam wie erwartet herbeigestürzt:
    »Du wirst doch nicht weggehen wollen!«
    Er hätte gern eine Szene vermieden, aber es ging nicht anders.
    »Laß mich zufrieden!« schnaubte er.
    »Und nachher beklagst du dich, daß du krank bist! Und ich kann dich wieder gesundpflegen, jawohl …«
    Ist es nicht seltsam, daß man zweiundzwanzig Jahre mit einer Frau zusammenleben, mit ihr Kinder haben und sein Geld teilen kann, und sich letzten Endes doch fremd bleibt? Aber daran war sie schuld. Sie, die kein Verständnis hatte und ständig herumquengelte. Sie drückte nicht mal dann ein Auge zu, wenn er an seinen Kegelabenden mit einem kleinen Schwips nach Hause kam. Daß sie ihn je gefragt hätte, ob er gewonnen hatte! Nie! Mehr noch: Sie war so ziemlich die einzige, die nicht wußte, daß er der beste Spieler von Dieppe war!
    »Aber ich sage dir, Louis …«
    »Halt den Mund!«
    Inzwischen hatte sie sich leidlich daran gewöhnt, aber zu Anfang war sie wegen eines solchen Ausdrucks tagelang in Tränen aufgelöst herumgelaufen.
    »Wer hat hier eigentlich das Sagen?« fuhr er sie an. »Wer kommt für den Haushalt auf? Ich bin es, der arbeiten geht und die Kohlen ranschafft! Kapiert? … Und wenn ich dir morgen erzählte, daß wir reich sind? Wenn ich dir ein paar Hunderttausend unter die Nase hielte?«
    Er provozierte sie absichtlich. Sie wich ein paar Schritte zurück, nicht etwa, weil sie geblendet war von dieser Aussicht, sondern weil sie der Szene ein Ende bereiten wollte. Er hätte eigentlich genau das Gegenteil erreichen wollen.
    »Du denkst wohl, dazu bin ich nicht fähig, was? Aber ja, für dich zählt nur dein Schwager. Der hat die Weisheit mit Löffeln gefressen, nur weil er es zum Bankangestellten gebracht hat. Aber wart mal, bis ich dem Herrn was zu tun gebe, bis ich ihm Geld bringe zum Anlegen!«
    Für den Augenblick fühlte er sich etwas erleichtert und zog seinen besten Anzug aus schwerem blauen Tuch an, wie ihn die Fischer sonntags tragen.
    »Du vergißt das Taschentuch«, sagte sie.
    »Ich vergesse gar nichts, merk dir das!«
    Er war versucht, sich im Spiegel zuzulächeln, und verließ achselzuckend den Raum. Vor dem Haus gab es nur ein kurzes Stück Trottoir, weil die Straße noch nicht richtig ausgebaut war. Mit seinen sauber gewichsten Schuhen machte er einen Bogen um die Wasserpfützen. Am oberen Ende des Steilhanges kam ihm Ernest entgegen, der auf dem Heimweg von der Schule war.
    »Mach schnell, daß du heimkommst«, sagte er und küßte ihn auf die kalte Wange. »Mutter wartet auf dich.«
    Dann stieg er zum Hafen hinunter in der Hoffnung, dort zum Nachdenken zu kommen. Ab und zu blickte er sich um, erstaunt, ja unruhig, daß von dem Mann nichts zu sehen war.

4
    Es war etwa halb fünf, denn die Straßenlaternen brannten schon eine ganze Weile, als Maloin den Engländer aus dem Postamt herauskommen sah. Er lief daraufhin etwas schneller und versuchte, ihm in einiger Entfernung zu folgen. So gingen sie beide an der erleuchteten Schaufensterreihe entlang.
    Was hatte der Mann seit heute früh unternommen? Hatte er geschlafen? Oder hatte er sich wieder am Hafenbecken herumgetrieben? Nicht sehr wahrscheinlich, denn dann wäre er Maloin, der an die zehnmal dort vorbeigekommen war, irgendwann über den Weg gelaufen.
    Der andere ging schnell. Es war kalt. Der Nebel war noch nicht gewichen, und vom vorderen Ende der Mole kam immer noch das Heulen des Nebelhorns.
    Hinter dem Antiquitätengeschäft wandte sich der Mann nach rechts und bog in ein Gäßchen ein, das nicht weit vom Hôtel de Newhaven entfernt in die Strandpromenade einmündete. Und das war alles. Zwei große Kugeln aus Mattglas, die wie Monde im Nebel schwebten, kennzeichneten den Eingang zum Hotel. Von links, wo es völlig finster war, stieg der Geruch des Meeres herauf.
    Ob der Engländer spürte, daß ihm jemand folgte? Er drehte sich nicht um, lief jedoch schneller. Das konnte aber auch damit zusammenhängen, daß er gleich am Ziel angelangt war.
    Wenn man das Hotel betrat, kam man zuerst in eine große Vorhalle mit Stühlen, Sesseln und Garderobenständern. Nach hinten erweiterte

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