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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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auf, machte einen Schritt auf Brown zu und tastete dessen Taschen so schnell und geübt nach einer Waffe ab, daß es einem anderen auch dann nicht aufgefallen wäre, wenn er hergesehen hätte.
    »Na schön«, sagte er dann. »Ich erwarte Sie also in der Halle.«
    Brown ließ seinen Regenmantel auf der Sessellehne zurück und ging an Madame Dupré vorbei zur Treppe. Sie lächelte ihm zu.
    »Wann wünschen Sie zu speisen, Monsieur Brown? Mein Mann hat für Sie und Ihren Freund eine wunderbare Seezunge à la dieppoise zubereitet.«
    »Gleich. Ich bin sofort wieder zurück.«
    Er stieg ganz normal die Treppe hinauf, höchstens auf den letzten Stufen wurde er etwas schneller. Dann ging die Tür zu seinem Zimmer auf. Inspektor Molisson schaute sich in der Halle um, als wolle er die Einrichtung bewundern.
    »Es gibt keinen Hinterausgang, hat sie gesagt«, murmelte er vor sich hin.
    Er runzelte die Stirn, schaute zur Decke hoch und warf dann den lärmenden Billardspielern einen wütenden Blick zu.
    »Es ist nichts mehr zu hören«, sagte er dann plötzlich laut und vernehmlich.
    »Nichts mehr zu hören …? Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine …«
    Die Hotelbesitzerin hatte nun ebenfalls den Kopf nach oben gewandt.
    »Was ist denn das? Da hört man ja Schritte auf dem Balkon!«
    Das hatte sie vergessen, ihm zu sagen: Über dem Speisesaal und der Hotelhalle lag auf gleicher Höhe mit den Zimmerfenstern ein Balkon! Der Inspektor stürzte auf die Straße hinaus und sah gerade noch eine magere Gestalt, die einen Viermetersprung vollführte, exakt auf den Füßen landete und im Häuserschatten verschwand.
    Es war sinnlos, jetzt die Verfolgung aufzunehmen. Molisson blieb einen Moment auf dem Trottoir stehen, stopfte sich ruhig eine Pfeife und ging ins Hotel zurück.
    »Ich muß noch etwas erledigen vor dem Essen«, sagte er zu Madame Dupré.
    »Und Monsieur Brown?«
    »Monsieur Brown wird heute sicherlich nicht zu Abend essen.«
    »Sonderkommissariat« stand über dem schlecht beleuchteten Büro am hinteren Ende des Bahnsteigs. Der Inspektor traf dort einen französischen Kollegen an, der sich bei Molissons Bericht Notizen machte und hinterher eine Meldung an alle Polizeistationen von Dieppe und die Gendarmeriestationen der Umgebung durchgab.
    »Er hat kein Geld bei sich, haben Sie gesagt?«
    »Jedenfalls kein französisches. Ich habe mich beim Hotelpersonal erkundigt. Er hat den Hausdiener Zigaretten holen geschickt, und das sagt alles.«
    »Nun, dann werden wir ihn noch vor morgen mittag haben.«
     
    Der Weg nach Hause zurück führte Maloin durchs Stadtzentrum. Er kam dabei durch die Rue Saint-Yon, wo er an den hell erleuchteten Schaufenstern entlangbummelte. Er war gerade an einem Pfeifengeschäft vorbeigekommen, blieb stehen, kehrte um und trat ein.
    »Eine Meerschaumpfeife bitte, mit Bernsteinmundstück«, sagte er völlig impulsiv, ohne vorher das Für und Wider abgewogen zu haben.
    »Eine echte?«
    Er kaufte eine Pfeife für zweihundertfünfzig Francs – die gleiche, die dem stellvertretenden Vorsteher Mordavin zu seinem fünfunddreißigsten Dienstjubiläum als Auszeichnung überreicht worden war. Maloin stopfte die Pfeife sofort und zündete sie an. Wenigstens das war eine kleine Genugtuung!
    Er lief etwa zwanzig Schritte weiter und sog dabei behutsam an der Pfeife. Da fiel sein Blick auf die Metzgerei auf der anderen Straßenseite, in der seine Tochter arbeitete. Während in den anderen Geschäften noch überall Betrieb herrschte, war hier das Gitter schon fast zugezogen und das Fleisch in den Kühlraum gepackt. Nur Henriette war da. Das Haar hing ihr in Strähnen ins Gesicht und ihre Füße steckten in Holzschuhen, während sie in gebückter Haltung, mit Schrubber und Scheuertuch bewaffnet die roten Fliesen säuberte. Sie hatte der Straße den Rücken zugedreht, und da sie ein ziemlich kurzes Kleid trug, sah man ihr weit unter den Rock, bis hin zu einem Stück Bein oberhalb der schwarzen Strümpfe.
    Maloin ging mit der Pfeife im Mund über die Straße und rief vom Trottoir aus: »Henriette!«
    Sie drehte sich mit dem Scheuertuch in der Hand um.
    »Ach, du bist’s«, sagte sie. »Du hast mich aber erschreckt.«
    »Du hattest mir doch gesagt, daß die Gehilfen den Laden sauber machen.«
    »Jetzt nicht mehr. Die Chefin findet, daß sie schon zu viel zu tun haben.«
    Er fühlte sich gedemütigt, ohne recht zu wissen, warum. Wahrscheinlich wegen des Gitters, das zwischen ihnen war. Oder weil Henriette einfach

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