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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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sie sich zur eigentlichen Hotelhalle: in der linken Ecke stand der Schreibtisch von Madame Dupré, und rechts war eine Bar.
    Der neue Gast saß in einem Korbsessel. Seinen Hut, eine Melone, hielt er vor sich auf den Knien. Er saß so still und blickte so unverwandt immer in eine Richtung, daß es aussah, als säße er in einem Eisenbahnabteil. Er schaute in Richtung der erleuchteten Vorhalle, hinter der sich die neblig-feuchte Nacht wie eine Mauer erhob.
    Er sah den Regenmantel des Engländers aus dem Dunkel auftauchen.
    »Ah! Da kommt ja Monsieur Brown«, wandte sich Madame Dupré mit einem Lächeln an den Mann im Korbsessel.
    Sie saß zwar hinten über einer Abrechnung und hatte Brown noch nicht sehen können, aber sie hatte die Gabe, ihre Gäste am Schritt zu erkennen.
    Als Brown etwa in der Mitte der Vorhalle war, wurde hinter ihm im Licht der Eingangstür schemenhaft eine gedrungenere Gestalt sichtbar, die sekundenlang verharrte und dann verschwand. Das war Maloin gewesen.
    Der Mann aus London wußte nicht, daß er bereits erwartet wurde. Er hielt die Augen gesenkt, während er auf die Halle zuging. Als er aufblickte, war er nur noch drei Schritte von dem Korbsessel entfernt. Seine Nasenflügel wurden schmal, und der Mund deutete eine Grimasse an, die er zu einem Lächeln umzugestalten suchte. Der Besucher hatte sich vom Sessel erhoben und streckte Brown die Hand entgegen:
    »Freut mich, Sie zu sehen, Mr. Brown«, begrüßte er ihn auf Englisch.
    Hatte Brown die Hand ebenfalls ausgestreckt, oder hatte der andere sie von sich aus ergriffen? Jedenfalls drückte er sie lange und sehr fest, als ob er sie überhaupt nicht mehr loslassen wollte.
    »Sie waren kaum weg, da ist Ihr Freund gekommen«, kommentierte die Hotelbesitzerin liebenswürdig. »Aber bei dem Nebel wollte er lieber hier warten, als Sie überall in der Stadt zu suchen.«
    Brown hatte sich ihr zugewandt und versuchte abermals, ein dankbares Grinsen zustandezubringen.
    »Warten Sie … Ich mache Ihnen Licht im Salon.«
    Der Salon war ein verglaster Raum links von der Vorhalle, gegenüber lag der Speisesaal. Madame Dupré betätigte ein paar Knöpfe auf einem Schaltbrett, und das Licht im Salon ging an, grau und trüb wie im Wartezimmer eines Zahnarztes, mit den gleichen Zeitschriften wie in einem Wartezimmer. Dann öffnete sie sogleich das Fensterchen zu den hinteren Räumen:
    »Germain! Sehen Sie mal nach, was die Herren trinken möchten.«
    Der Besucher hatte Browns Hand inzwischen immerhin losgelassen. Brown war vor ihm stehen geblieben, ohne etwas zu sagen, ohne etwas zu tun, als ob ihm von nun an jede Initiative aus der Hand genommen sei.
    »Einen Whisky, Monsieur Brown?« fragte Germain dienstfertig. »Und für Sie, Monsieur? … Zwei Whisky also.«
    Die beiden betraten den Salon; Brown legte den Mantel ab, während sein Besucher sich bereits in einen Sessel setzte und die Beine übereinanderschlug.
    »Nun, Mr. Brown? Überrascht, mich zu sehen?«
    Sie waren etwa im gleichen Alter, aber der Mann mit der Melone war von einer derartigen Selbstsicherheit, daß er schon beinahe aggressiv wirkte.
    Germain brachte den Whisky. Die Männer ließen die Tür offen. Sofern sie nicht zu laut sprachen, waren sie so vor Störungen sicher.
    »Ich müßte lügen«, eröffnete der Besucher das Feuer, »wenn ich sagte, daß ich Sie nicht in Dieppe vermutet habe. Das ist ja schon eine Manie bei Ihnen, daß Sie von Zeit zu Zeit einen Abstecher auf den Kontinent machen müssen.«
    Brown sagte nichts; er schien nicht einmal bereit, sich an dem Gespräch zu beteiligen, und sah den anderen nur aus traurigen Augen an. Die Hände lagen ineinander verschränkt auf dem einen Knie.
    »Übrigens, Sie haben doch sicher Ihren lieben Freund, diesen Teddy, getroffen? Nein? Sie haben sich verfehlt? Und doch ist er zu dem Zeitpunkt, zu dem Sie hier ankamen, in Dieppe gesehen worden.«
    Madame Dupré, die über ihren Rechnungen saß, konnte die beiden englischen Gäste durch die Glaswand sehen und warf ab und zu einen Blick zu ihnen hinüber.
    »Sie sehen müde aus, Mr. Brown. Sie werden doch nicht krank sein? Immer noch die Leber, die Ihnen zu schaffen macht?«
    Brown seufzte, schlug seine Beine andersherum übereinander und verschränkte die Hände wieder über dem Knie.
    »Wissen Sie auch«, fuhr der andere fort, »daß ich die größte Mühe hatte, den alten Mitchel davon abzuhalten, mich zu begleiten?«
    Brown zuckte nicht zusammen. Er blieb düster und so unbeteiligt wie

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