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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Friedensrichter klagen. Wenn Monsieur Laîné dagewesen wäre, dann hätte es aber was gegeben. Das ist ein Rohling.«
    Er lächelte nur verächtlich. Dann fiel ihm seine Pfeife wieder ein, und er zog genüßlich daran.
    »Überlaß das alles deinem Vater«, sagte er schließlich, als sie gerade am Café Suisse vorüberkamen.
    Er warf einen Blick durchs Fenster und sah Camélia, die wie gewöhnlich allein in ihrer Ecke saß und ein Glas Minzenlikör vor sich hatte.

5
    Unerwartet, lächerlich, widerwärtig, aber vor allem dumm war die Szene, die sich im kleinen Haus auf der Steilküste abspielte, das Madame Maloin in ihrer blauen Schürze an dem Tag von oben bis unten geputzt hatte und das noch Spuren von Feuchtigkeit aufwies.
    Eine Minute, bevor Maloin mit Henriette das Haus betrat, konnten sie alle – Vater, Mutter und Tochter – nichts davon ahnen, und doch war die Szene bereits vorprogrammiert. Während sie den Steilhang hinaufstiegen, hatte Henriette wie nebenbei gefragt:
    »Was wird Mama dazu sagen?«
    »Was wird Mama dazu sagen?« schoß es auch Maloin durch den Kopf, als er den Schlüssel im Schloß herumdrehte. »Pah! Warum sollte sie eigentlich etwas sagen? Hatte Henriette es überhaupt nötig, sich deswegen Gedanken zu machen?«
    Er betrat als erster die Küche und machte sich so breit wie möglich.
    »Wen hast du mitgebracht?« fragte seine Frau, da Henriette noch hinter ihm in der dunklen Diele stand.
    »Deine Tochter.«
    Das Gewitter ließ noch auf sich warten. Madame Maloin deckte den Tisch fertig und trug die Suppe auf, bevor sie wieder den Mund aufmachte.
    »Warum hat sie sich heute Urlaub geben lassen?« fragte sie nach einer Weile.
    »Sie hat sich keinen Urlaub geben lassen. Ich habe sie von ihrer Stelle weggeholt.«
    »Sehr schlau ist das!«
    Darauf brach der Sturm los. Alles ging in dem folgenden Wortwechsel unter: das Ticken der Uhr, das Bullern des Ofens. Und was noch nicht gegessen war, wurde nicht mehr angerührt an diesem Tag.
    »Was hast du gesagt?«
    »Ich habe gesagt, daß es immer das gleiche ist mit dir! Monatelang schluckst du alles runter, und dann plötzlich, im unglücklichsten Moment, machst du die größte Dummheit.«
    »Ach soo! Eine Dummheit hab ich gemacht, ja? Wenn’s nach dir gegangen wäre, hätten wir Henriette in dieser Metzgerei lassen sollen, wo die Leute auf der Straße ihr bis zum Hintern hinauf sehen konnten, wenn sie den Boden geschrubbt hat!«
    »Sei still und iß! Wir werden ja sehen, wie wir am Monatsende zurechtkommen.«
    »Glaub ja nicht, ich hätte nicht verstanden!«
    »Verstanden? Was denn?«
    »Deine Anspielung! Ich verdiene nicht genug, um meine Familie zu ernähren, das ist es doch, was du sagen willst, oder? Ich …«
    Ein erster Fausthieb brachte Teller und Gläser zum Zittern und leitete eine neue Runde ein. Zwischen Rede und Gegenrede bestand kaum noch ein entfernter Zusammenhang. Ohne ersichtlichen Grund wechselte man von einem Thema zum anderen über, einfach deshalb, weil einem der beiden eine noch bösartigere Formulierung eingefallen war.
    »So sag’s schon! Ich bin ein Säufer, was?«
    »Das hab ich nicht gesagt! Aber getrunken hast du, und wenn du getrunken hast, bist du nicht mehr derselbe Mensch.«
    »Hast du gehört, Henriette? Dein Vater ist ein Säufer, während deine Mutter die reinste Heilige ist!«
    Henriette weinte. Madame Maloin steckte rein mechanisch noch ab und zu einen Bissen Brot in den Mund, vergaß dann aber das Kauen.
    »Lange genug hab ich’s zu hören bekommen von deiner Familie, daß ich nur ein Arbeiter bin. Als ob sie was Besseres wäre, deine Familie! Vorn herum großes Getue, ja! Aber wenn man in die Töpfe schaut … Leer! Nichts drin!«
    »Jedenfalls hat man bei uns bessere Manieren als …«
    Was nun folgte, war gänzlich verworren.
    »… Was ich in den zwanzig Jahren durchgemacht habe …«
    »… Möchte wissen, was mich noch abhält …«
    »Abhält wovon?«
    »Mich von dir …«
    »Papa!«
    »Ja, ja, sieh ihn dir nur an, deinen großartigen Vater!«
    »Vielleicht würde ich dir besser passen, wenn ich dir fünfhunderttausend Francs auf den Tisch legte, was?«
    »Du widerst mich an! Sieh zu, wo du deinen Rausch ausschläfst, aber nicht hier …«
    »Fünfhunderttausend, jawohl … Und die ganze Familie würde mir die Füße küssen!«
    »Ich verbiete dir, so mit mir …«
    »Papa! … Mama!«
    Maloins Hand war in die Höhe geschnellt, aber sie sauste nur auf die Tischplatte herunter, und kurz danach wurde die

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