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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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rasch ein, »tauschen wir sie natürlich um, Mademoiselle.«
    Alle waren überaus liebenswürdig. Als sie im Geschäft nebenan Strümpfe kauften, wurde Henriette »Madame« genannt, und Maloin drehte den Kopf zur Seite, damit man sein Lächeln nicht sah.
    Was hatte der Eingesperrte überhaupt noch zu erwarten? Er hatte keinen Sou, und die Polizei besaß seine Personenbeschreibung.
    Plötzlich verlor Maloin das Interesse an Henriettes Käufen. Wenn der Mörder sich gerade in seiner Hütte versteckt hatte, dann doch wohl in der Absicht, nachts in Maloins Haus einzudringen? Er kannte es ja. Und daß der Koffer in dem Stellwerkshäuschen geblieben war, konnte er nicht ahnen. Hingegen wußte er, daß Maloin jede Nacht weg war.
    Man brauchte ja nur daran zu denken, was täglich in der Zeitung stand! Geschichten von Straffälligen, von Gehetzten, die nichts mehr zu verlieren haben, die sich in ein abgelegenes Haus, einen Bauernhof oder eine Villa einschleichen, Frauen, Kinder und Greise mit der Axt, einer Eisenstange oder weiß Gott was umbringen, sich auf das Geld stürzen, sich über die Speisekammer hermachen und abgeschlagene Flaschenhälse an die Lippen setzen.
    »Wieviel?« fragte er matt.
    Henriette hatte die Veränderung an ihm bemerkt.
    »Findest du’s zu teuer?« fragte sie leise.
    »Aber nein!«
    »Oder bist du verärgert?«
    »Aber nein! Wenn ich dir’s doch sage!«
    Er mochte Ernest nicht besonders, weil alle behaupteten, er gleiche seinem Onkel und weil seine Frau ihn immer gegen ihn in Schutz nahm. Er kaufte ihm trotzdem eine neue Schultasche und einen Wasserfarbenkasten. Henriette trug die Pakete. Es regnete jetzt weniger stark; trotzdem hörte man das feine Trommeln der Wassertropfen auf dem Seidenpapier.
    Was konnten sie sonst noch kaufen? Jetzt, da er den Tausend-Francs-Schein gewechselt hatte, war es witzlos, schon aufzuhören. Auf die Idee, für sich selbst etwas zu erstehen, war er noch nicht gekommen.
    »Du solltest dir mal ne neue Mütze leisten, Vater.«
    So, ja, eine Mütze … Warum nicht gleich eine ganze Uniform!
    »Komm, laß uns mal da reingehen.«
    Es war eine Kneipe, und er bestellte einen Aperitif in der Hoffnung, dadurch seine gute Laune wiederzugewinnen. Er hatte nicht mal das Recht, heute nacht daheim zu bleiben, um sein Haus zu bewachen!
    »Was trinkst du?«
    »Nichts. Ich hab keinen Durst.«
    »Bringen Sie ihr trotzdem ein Gläschen«, sagte er zu dem Kellner.
    Wenn sie nämlich nichts getrunken hätte, dann hätte es wie ein Vorwurf ausgesehen.
    »Das wirft dich schon nicht um. Wo ist eigentlich das nächste Pelzgeschäft?«
    »Gegenüber von der Post.«
    Seine Euphorie war verflogen. Er wurde jetzt starrsinnig und hatte seine fixen Ideen. Im Pelzgeschäft gab er sich recht unwirsch.
    »Wieviel kostet ein Fuchspelz?«
    »Ein echter? Ab fünfhundert Francs.«
    »Zeigen Sie uns welche in der Preislage.«
    Henriette zupfte ihn am Ärmel.
    »Du, das ist nicht recht. Mama wird böse sein. Eine Imitation ist doch genauso gut.«
    »Laß mich zufrieden.«
    Auch bei ihr war die Euphorie verflogen. Sie geriet aber nochmals in Hochstimmung, als sie den Fuchs über den Schultern hatte. Es war ein Rotfuchs, der eigentlich gar nicht zu ihrem Mantel paßte.
    »Behalten Sie ihn um?«
    Und ob sie ihn umbehielt! Sie tauchten mit ihren Paketen wieder im Straßengewühl unter.
    »Sollten wir nicht allmählich nach Hause?« fragte Henriette unruhig.
    Sie wechselte auf die andere Straßenseite, um in ihrem neuen Aufzug an der Metzgerei vorüberzugehen. Aber das Gitter war schon zugezogen, und der Laden war leer.
    Als sie zur Straßenecke kamen, fiel Maloin eine Frau auf, die Englisch sprach und jemand um eine Auskunft bat. Er sah sie sich im Vorübergehen genau an: Sie trug ein schwarzes Kostüm, das viel zu sommerlich war für die Jahreszeit, hatte unregelmäßige Gesichtszüge und rotes Haar, das unter dem Hut hervorquoll. Um den schlanken Hals trug sie ein Goldkettchen mit einem Medaillon.
    »Geh mal die neuesten Zeitungen kaufen«, sagte er zu Henriette.
    Er vermied es, zu der Glaskabine hinüberzusehen. Als sie beim Café Suisse um die Ecke bogen, um zum Kai hinüberzugehen, stieß Henriette beinahe mit Camélia zusammen, die mit dem englischen Inspektor auf dem Trottoir stand.
    Maloin beschleunigte seinen Schritt. Man konnte ihm nichts nachsagen! Er hatte nichts Unrechtes getan! Mit zusammengezogenen Augenbrauen konzentrierte er sich auf das Problem mit der Hütte. Denn hinterher brauchte er nur

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