Der Mann aus London
wie mein Mann.«
»Was bedeutet, daß sie ihre Einbrüche zusammen verübt haben. Ihr Mann ist in das Büro meines Vaters eingebrochen und hat sich hier in Dieppe mit Teddy getroffen. Wahrscheinlich haben sie Streit bekommen, als es ans Teilen ging, und Ihr Mann hat Teddy umgebracht. Fragen Sie den Inspektor, wenn Sie mir nicht glauben. Und jetzt hält sich Ihr Mann irgendwo in der Stadt versteckt. Es ist also an Ihnen, ihn ausfindig zu machen und ihm auszurichten, was ich gesagt habe … Haben Sie Geld?«
»Ich bin mit zwei Pfund aus Newhaven weg.«
»Hier haben Sie noch zwei. Wenn Sie im Hotel essen und schlafen, reicht das eine Weile. Die Pension ist nicht teuer hier.«
»Was soll ich denn tun?«
Madame Brown hatte noch nicht geweint, aber es war nicht zu übersehen, daß ihr die Tränen hochstiegen. Sie wurde sich erst nach und nach darüber klar, was ihr zugestoßen war.
»Lassen Sie sich was einfallen! Setzen Sie ein Inserat in die Zeitung. Der Inspektor kann Ihnen vielleicht einen Tip geben.«
Als Eva Mitchel wieder an ihrem Platz saß und sich ruhig ihrem Dessert zuwandte, sah Molisson sie verwundert an.
»Was haben Sie ihr gesagt?«
»Die Wahrheit. Sie hat mehr Chancen als wir, ihren Mann ausfindig zu machen. Oder aber er erfährt etwas von ihrer Ankunft und stellt sich von allein.«
»Und wenn sie ihn findet?« fragte er, etwas außer Fassung gebracht.
»Ja? Was soll dann sein?«
»Er hat ein Verbrechen begangen …«
»In Frankreich! Das geht Sie nichts an. Das ist Sache der französischen Polizei.«
Der alte Mitchel sah seine Tochter nicht weniger erstaunt an, fast mit Bewunderung, in die sich jedoch etwas Verlegenheit mischte.
»Warum hast du uns nichts davon erzählt?« fragte er.
»Ihr hättet mich vielleicht daran gehindert, sie herkommen zu lassen.«
Sie saß mit dem Rücken zur Glaswand, und nur der Inspektor konnte von seinem Platz aus die kleine Madame Brown im Salon drüben sehen. Sie hatte sich in einen Sessel fallen lassen und die Hände vors Gesicht geschlagen. Molisson legte schließlich seine Serviette auf den Tisch und ging zu ihr hinüber.
»Ist es wahr?« stieß sie hervor, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen.
»Ja, es ist wahr«, sagte er und setzte sich neben sie. »Ihr Mann ist in einer höchst unglücklichen Lage. Bisher hatte er nur Gefängnis riskiert, aber jetzt …«
»Stimmt es auch, daß er, wenn er das Geld zurückgibt …«
»Dann wird Mitchel seine Klage zurückziehen, ja. Scotland Yard wird sich nicht weiter um ihn kümmern. Wie er mit der französischen Polizei klarkommt, muß er selbst sehen. Wo haben Sie übrigens Ihre beiden Jungen gelassen?«
»Es ist ein Junge und ein Mädchen«, verbesserte sie automatisch. »Ich habe sie bei einer Nachbarin gelassen. Aber so sagen Sie mir doch, was ich tun soll.«
Der Inspektor sah zu den Mitchels hinüber, die immer noch beim Dessert waren. Dann betrachtete er den ausgeblichenen Teppich und steckte sich eine Pfeife an.
»Das Gescheiteste wäre vielleicht, möglichst viel in der Stadt herumzulaufen, vor allem an abgelegenen Orten. Dieppe ist nicht groß, und es ist nicht ausgeschlossen, daß Ihr Mann Sie sieht.«
Sie hatte Angst, man sah es ihren Augen an: Angst vor den abgelegenen Straßen und auch vor dem Zusammentreffen mit ihrem Mann. Molisson wußte nicht, was er noch sagen sollte.
»Im Augenblick sollten Sie vor allem etwas essen und sich dann zu Bett legen. Morgen ist immer noch Zeit für eine Entscheidung.«
Damit war sie in dem kleinen Salon wieder sich selbst überlassen. Nach einer Weile kam Madame Dupré und fragte sie, ob sie noch zu Abend essen wolle. Sie verstand jedoch nicht, bis Madame Dupré eine Gebärde des Essens machte. Da schüttelte sie den Kopf.
»Ich möchte wetten, daß sie ihn findet!« sagte Eva Mitchel. »Ich weiß, es ist hart für sie. Aber ist es für meinen Vater vielleicht weniger hart, in seinem Alter ohne Geld dazustehen, nachdem er so vielen Artisten zu einer Karriere verholfen hat?«
Die Neuvermählten waren aufgestanden und in den Salon hinübergegangen, zogen sich jedoch taktvoll wieder zurück, als sie eine Frau mit rotverweinten Augen sahen. Der junge Mann fragte die Hotelbesitzerin nach einem Kino, und sie gingen weg.
Camélia saß auf ihrem Platz an der Bar des Moulin-Rouge. Sie hatte die Lippen böse zusammengekniffen und starrte ins Leere.
»Hast du die gekannt?« fragte der Chef, der gerade die Zeitung gelesen hatte.
»Den kleineren, ja. Teddy hat
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