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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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vor sich sah, der auf der Suche nach dem Koffer ins Wasser eingetaucht wurde.
    »War deine Pfeife teuer, Vater?«
    »Warum?«
    »Wenn sie nicht zu teuer wäre, würde ich dir eine neue kaufen.«
    Er befürchtete, sie könne den Preis der Pfeife erfahren und lenkte ab.
    »Sag, hat Mutter nicht was von blauer Wolle gesagt?«
    »Ja. Sie möchte, daß ich für Ernest eine Strickjacke mache.«
    Wieviel konnte so ein Pelz wert sein, wie Camélia ihn um den Hals trug? Er hatte ihn an sich gespürt, weich und duftend, als er sie einmal geküßt hatte. Aber was so ein Ding wert war, das wußte er nicht, und er fragte Henriette.
    »Das ist todsicher eine Imitation«, sagte sie und sah mit einem Mal sehr hochnäsig aus. »Und die da, das ist eine Nutte. Die kenne ich. Die ist morgens in die Metzgerei gekommen in ihrem dreckigen Morgenmantel und Pantoffeln.«
    »Und was kostet sowas, so eine Imitation?«
    »Hm … Dreihundert Francs vielleicht?«
    Er trank einen zweiten Calvados und bezahlte mit dem Fünfhundert-Francs-Schein.
    »Komm, wir gehen weiter.«
    »Wohin?«
    »Wirst du schon sehen!«
    An manchen Tagen spürt man den Alkohol überhaupt nicht, oder aber man bekommt Kopfschmerzen. Und ein anderes Mal wird man von einem wohligwarmen Optimismus durchströmt. Und das war jetzt bei Maloin der Fall. Seine Augen glänzten, und er zwinkerte Camélia beim Hinausgehen freundschaftlich zu.
    Inzwischen war es dunkel geworden, und die Schaufenster waren alle hell erleuchtet. Regenschirme stießen aneinander. Maloin fiel eine junge Frau in blauem Regenmantel auf, und er faßte auf der Stelle den Entschluß, seiner Tochter den gleichen zu kaufen. Mit einem versteckten Lächeln im Mundwinkel, schob er sie unmerklich ins Warenhaus Nouvelles Galeries und wanderte mit ihr von Abteilung zu Abteilung, bis er bei den Damenmänteln angekommen war.
    »Einen Regenmantel, in Blau«, sagte er übergangslos zu der Verkäuferin.
    »Welches Material?«
    Während seine Tochter anprobierte, dachte er an den Inspektor von Scotland Yard, denn ihm galt sein herausforderndes Lächeln. Aber nicht nur ihm, sondern auch diesem Trottel von Gendarmen von heute morgen, und dem kleinen Sonderkommissar, der womöglich immer noch im Regen herumlief.
    »Wieviel macht das?« fragte er.
    »Hundertfünfundsiebzig Francs … Übrigens, wir haben auch das passende Béret dazu.«
    Er kaufte das Béret, das zwanzig Francs kostete. Dann warf er noch einen Blick in die Runde, es hätte ja sein können, daß es noch etwas zu kaufen gab.
    »Behalten Sie den Mantel gleich an, Mademoiselle?«
    Selbstverständlich behielt sie ihn an. Sie hinterließ ihre Adresse, damit der alte Mantel ihr nach Hause geschickt wurde.
    Als sie wieder auf der Straße waren, gerieten sie immer mehr in Festtagsstimmung. Die Leute auf der Straße ahnten nichts, höchstens, daß jemand ihr aufgekratztes Lächeln auffiel. Maloin fand, er könne den Fünfhundert-Francs-Schein auch noch ganz ausgeben.
    »Was ist mit deinen Schuhen? Sind die noch gut?«
    »Dicht sind sie schon noch, aber sie passen nicht zu dem Blau.«
    Und sie kauften Schuhe. Ein wahrer Genuß, zur Kasse zu gehen und sich wie nebenbei nach dem Preis zu erkundigen. Madame Maloin dagegen … Vierzehn Tage lang hätte sie die ganze Stadt abgeklappert, bevor sie endlich so ein Paar Schuhe gekauft hätte!
    Inzwischen war der Gendarm an der Steilküste bestimmt abgelöst worden. Vielleicht hatten sie den Posten auch ganz aufgehoben. Schließlich konnte man die Küste nicht ewig überwachen lassen wegen eines flüchtigen Engländers. Und der Regen würde auf das Wellblechdach trommeln.
    »Freust du dich?«
    »Ja, und wie! Aber was wird Mutter dazu sagen?«
    Er kniff seine Augen zu einem schmalen Schlitz zusammen und sagte nichts. Dann blieb er vor einem Handschuhgeschäft stehen.
    »Komm!«
    Henriette fing an, ihrem Vater leicht beunruhigte Blicke zuzuwerfen. Aber der war in voller Fahrt.
    »Sollen es Handschuhe mit Pelz- oder mit Wollfutter sein?«
    »Die besseren …«
    Das Komischste war, daß er am liebsten geweint hätte vor Freude und vor Aufregung. Er schwebte gleichsam in einem neuen Universum. Normalerweise hätte er um diese Zeit zu Hause sein müssen. Er hätte, wie fast jeden Nachmittag, irgend etwas zurechtgebastelt oder höchstens in der Kneipe eine Partie Domino gespielt.
    »Nimm noch ein Paar für deine Mutter mit. Da freut sie sich sicher.«
    »Aber ich weiß ihre Größe nicht!«
    »Wenn sie nicht passen«, warf die Verkäuferin

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