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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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benutzen, aber selbst das Gehen stellte seine Nerven auf eine harte Probe. Bei jedem Schritt, jedesmal wenn sein Fuß auf das Pflaster trat, war er sich der braunen Flasche in dem Kissen bewußt, stellte sich vor, wie die Moleküle des Nitroglyzerins unter seiner Hand immer rascher erzitterten.
    Er kam an einer Frau vorbei, die den Gehsteig vor ihrem Haus schrubbte, und um auf dem nassen Pflaster nicht auszurutschen, trat er auf die Straße. Sie rief ihm höhnisch zu:
    »Der Herr hat wohl Angst, nasse Füße zu kriegen!«
    Vor einem Fabriktor in Euston rannte eine Gruppe Lehrlinge einem Fußball nach. Felix blieb wie angewurzelt stehen, während sie um ihn herumliefen und sich um den Ball stritten. Endlich hatte einer ihn weit fortgestoßen, und sie waren so rasch verschwunden, wie sie gekommen waren.
    Das Überqueren der Euston Road war ein Tanz mit dem Tode. Fünf Minuten lang stand er am Bordstein und wartete auf eine Verkehrslücke, und dann rannte er fast über die Straße.
    Auf der Tottenham Court Road ging er in ein vornehmes Papiergeschäft. Es war ruhig und still im Laden. Er stellte den Koffer sanft auf den Tresen. Ein Verkäufer im Cutaway erkundigte sich höflich: »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«
    »Ich möchte einen Briefumschlag.«
    Der Verkäufer hob die Brauen. »Nur einen, Sir?«
    »Ja.«
    »Einen von besonderer Art, Sir?«
    »Ganz einfach, aber von guter Qualität.«
    »Wir haben blaue, elfenbeinfarbene, grüne, beige, creme …«
    »Weiß.«
    »Bitte sehr, Sir.«
    »Und einen Briefbogen.«
    »Einen einzelnen Bogen, Sir.«
    Es kostete drei Pence. Am liebsten wäre er aus Prinzip ohne zu bezahlen fortgerannt, aber mit der Bombe in seinem Koffer war das zu gefährlich.
    Auf der Charing Cross Road wimmelte es von Menschen, die sich zur Arbeit in den Läden und Büros begaben. Es war unmöglich, hier durchzukommen, ohne angerempelt zu werden. Felix stand eine Weile in einem Hauseingang und fragte sich, was er tun solle. Schließlich entschied er sich, den Koffer in seinen Armen zu tragen, um ihn vor der quirligen Menge zu schützen.
    Auf dem Leicester Square suchte er Zuflucht in einer Bank. Er setzte sich an einen der Schreibtische, an denen Kunden ihre Schecks ausfüllten. Dort fand er eine Schale mit Federhaltern und ein Tintenfaß. Er stellte den Koffer auf den Boden zwischen seine Füße und entspannte sich einen Augenblick. Befrackte Bankangestellte eilten leise mit Papieren an ihm vorüber. Felix nahm eine Feder und schrieb auf seinen Umschlag:
    »Fürst A. A. Orlow Savoy Hotel Strand, London W.«
    Den Briefbogen faltete er zusammen und steckte ihn in den Umschlag – nur des Gewichts wegen, denn er wollte nicht, daß das Kuvert leer erschien. Er leckte den gummierten Rand und klebte ihn zu. Dann nahm er wieder zögernd seinen Koffer auf und verließ die Bank.
    Auf dem Trafalgar Square tauchte er sein Taschentuch in den Brunnen und kühlte sich damit sein Gesicht.
    Er ging am Charing-Cross-Bahnhof vorüber und dann in östlicher Richtung am Flußufer entlang. In der Nähe der Waterloo Bridge lungerte eine Gruppe Straßenjungen herum und bewarf die Möwen auf dem Fluß mit Steinen.
    Felix wandte sich an den am intelligentesten aussehenden von ihnen.
    »Möchtest du dir einen Penny verdienen?«
    »Ja, Mister.«
    »Hast du saubere Hände?«
    »Ja, Mister.« Der Junge zeigte ihm ein Paar schmutzige Hände.
    Felix mußte sich damit zufriedengeben. »Weißt du, wo das Savoy-Hotel ist?«
    »Klar!«
    Felix gab dem Jungen den Umschlag und einen Penny.
    »Zähle langsam bis hundert, und dann bring diesen Brief zum Hotel. Verstanden?«
    »Ja, Mister.«
    Felix stieg die Stufen zur Brücke hinauf. Sie war voller Männer mit steifen Hüten, die, von der Waterloo Station kommend, über den Fluß eilten. Felix schloß sich der Prozession an.
    Er ging in einen Zeitungsladen und kaufte die Times. Als er hinaustrat, stürzte ein junger Mann zur Tür herein. Felix schrie ihn an: »Passen Sie gefälligst auf, wo Sie hingehen!«
    Der Mann starrte ihn überrascht an, und als Felix die Tür schloß, hörte er noch, wie der Mann zum Ladenbesitzer sagte: »Der Kerl ist aber ganz schön nervös!«
    »Ein Ausländer«, erwiderte der Ladenbesitzer.
    Er bog in den Strand ein und ging in das Hotel. In der Halle setzte er sich und stellte den Koffer auf den Boden zwischen seine Füße. Bald haben wir es geschafft, dachte er.
    Von seinem Platz aus konnte er beide Türen und den Empfangsschalter des Portiers sehen. Er fuhr mit der

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