Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
gelehrt, daß die Regierung nicht dem Recht und der Gerechtigkeit, sondern nur der Zweckdienlichkeit nachgeben würde. Daher war es unsere Aufgabe, der Regierung zu zeigen, daß die Erfüllung unserer gerechten Forderungen zweckdienlich sind. Wir mußten England und jedes Gebiet des englischen Lebens unsicher und fragwürdig machen. Wir mußten zeigen, daß das englische Gesetz versagt hatte und daß die Gerichtshöfe nur ein Possentheater sind; wir mußten die Regierung und das Parlament in den Augen der Welt diskreditieren; wir mußten den englischen Sport lächerlich machen, dem Geschäftsleben Schaden zufügen, wertvollen Besitz zerstören, das gesellschaftliche Leben demoralisieren, die Kirche beschämen, die ganze herkömmliche Lebensordnung durcheinanderbringen! Wir mußten diesen Guerillakrieg so lange fortsetzen, bis das englische Volk es nicht mehr ertrüge und zur Regierung sagte: ›Setzt dem ein Ende, auf die einzige Art, wie dem ein Ende gesetzt werden kann: Gebt den Frauen Englands das Recht auf Selbstbestimmung!‹ Erst dann wollten wir die Flamme unserer Fackel löschen.
Der große amerikanische Staatsmann Patrick Henry hat die Ursachen, die zur amerikanischen Revolution führten, folgendermaßen zusammengefaßt: ›Wir haben Bittschriften eingereicht, Einspruch erhoben, wir haben gefleht, wir sind vor dem Fuße des Throns auf die Knie gesunken, und es war alles vergeblich. Wir müssen kämpfen – ich wiederhole es, Sir, wir müssen kämpfen. ‹ Patrick Henry war bereit, Menschen zu töten, um die politische Freiheit von Männern zu erkämpfen. Die Frauenrechtlerinnen haben das nicht getan und werden es auch nie tun. Denn der Geist, der unseren Kampf bestimmt, ist die tiefe und beständige Achtung vor dem menschlichen Leben.
In diesem Geist sind unsere Frauen in den Krieg gezogen. Am 31. Januar wurden einige Rasenflächen mit Säure verbrannt. Am 7. und 8. Februar wurden an verschiedenen Orten Telegraphen-und Telephondrähte durchschnitten, und während einiger Stunden waren alle Verbindungen zwischen London und Glasgow unterbrochen. Einige Tage später wurden Fensterscheiben in verschiedenen vornehmen Londoner Clubs eingeschlagen, die Orchideenhäuser in Kew wurden zerstört und viele wertvolle Blumen erfroren. Der Kronjuwelenraum im Londoner Tower wurde gestürmt und ein Schaukasten zerbrochen. Am 18. Februar wurde ein für Mr. Lloyd George in Walton-on-the-Hill im Bau befindliches Landhaus zum Teil zerstört, als in den frühen Morgenstunden vor der Ankunft der Arbeiter eine Bombe explodierte.
Über tausend Frauen sind im Laufe dieser Agitation ins Gefängnis gekommen, haben in den Kerkern gelitten, sind wieder herausgekommen, gesundheitlich geschädigt, körperlich geschwächt, jedoch mit ungebrochenem Mut. Keine von ihnen würde gegen das Gesetz verstoßen, wenn die Frauen frei wären. Diese Frauen sind überzeugt, daß das Wohl der Menschheit ein solches Opfer verlangt. Sie sind überzeugt, daß die gräßlichen Übel, die in unserer Zivilisation so viel Unheil anrichten, erst dann beseitigt werden können, wenn die Frauen das Wahlrecht haben. Es gibt nur einen Weg, dieser Agitation ein Ende zu setzen; es gibt nur einen Weg, dieser Agitation Einhalt zu gebieten. Nicht, indem man uns deportiert!«
»Nein!« rief jemand.
»Nicht, indem man uns ins Gefängnis steckt!«
Alle schrien: »Nein!«
»Nur, indem man uns Gerechtigkeit widerfahren läßt!«
»Ja!«
Charlotte stellte fest, daß sie mit den übrigen schrie. Die kleine Frau auf dem Podium schien völlig in ihrer Empörung aufzugehen. Ihre Augen funkelten, sie ballte die Fäuste, hob ihr Kinn, und ihre Stimme bebte vor Erregung.
»Das Feuer des Leidens, dessen Flammen an unseren Schwestern im Gefängnis zehren, verzehrt auch uns. Denn wir leiden mit ihnen, wir nehmen teil an ihrer Not, und eines Tages werden wir den Sieg mit ihnen feiern. Dieses Feuer wird mancher Schlafenden in die Ohren dringen mit dem Wort ›Erwache!‹ und sie wird aufstehen und nicht mehr schlummern. Es wird jenen die Gabe der Rede bescheren, die bisher stumm gewesen sind, und sie werden hervortreten, um die Botschaft der Befreiung zu predigen. Ihr Licht wird jenen leuchten, die leidend und betrübt und unterdrückt sind, und es wird eine neue Hoffnung in ihrem Leben erstrahlen lassen. Denn der Geist, der heute den Frauen Kraft gibt, ist unbesiegbar, er ist mächtiger als alle Tyrannei, Grausamkeit und Unterdrückung; er ist sogar stärker als – der
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