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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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meinem Aufprall entgegen. Doch so, wie ich zu Anfang dieser Reise durch den Stammheimer Turnhallenboden geglitten war, so glitt ich nun durch das Dach des Hauses, den Dachboden, durch die Stockwerke hindurch, vorbei an Familien und Alleinstehenden, die allesamt beim Frühstück saßen, und landete – nicht weich, aber auch keineswegs hart – auf einem Stuhl. Voilà! Jetzt saß ich vor einem gedeckten Tisch, mir gegenüber eine junge Frau im Bademantel, wie junge Frauen in Bademänteln nun einmal wirken, wenn sie beim Frühstück sitzen: zerrauft, unausgeschlafen, ungnädig, gelangweilt. Sie wirken und sind ungeschminkt. Sie erlauben sich – bei aller Pose – den ungeschminkten Auftritt, ohne zu wissen, wie alt und zerstört sie in solchen Momenten aussehen. Wenn sie dann auch noch rauchen, statt zu essen, erinnern sie alle ein wenig an betagte Hollywoodschauspielerinnen mit einem gewissen Alkoholproblem. Und das ist nicht übertrieben.
    Diese Frau hier klopfte die Asche ihrer Zigarette in das aufgeschlagene Viereinhalb-Minuten-Ei, während ich selbst nicht nur in den Stuhl hineingefallen war, sondern mit einer Hand in einen Zeitungsrand, mit der anderen in den Griff einer mit Kaffee gefüllten Schale. Zudem trug ich nun einen Schlafanzug von der Farbe der Eierschale. Ich wusste es sofort wieder. Es war Samstag. Und es würde nicht irgendein Samstag bleiben. Es würde ein schrecklicher Samstag werden. Vielmehr: Es war ein schrecklicher Samstag gewesen, damals vor nicht ganz zwanzig Jahren. Und jetzt? Würde ich das Ganze noch einmal erleben müssen? Ich würde. Es läutete an der Eingangstür, so wie es damals geläutet hatte, nur dass ich jetzt – in diesem Traum – wusste, wer draußen stand. Und als nun Angelika, die Frau im Bademantel und Vorgängerin von Marlinde, von ihrem Buch aufsah (Fegefeuer in Ingolstadt) , mir den Rauch entgegenblies und sagte: »Mach du doch auf!«, so wie man sagt: Hol du dir doch den Tod!, da verhielt ich mich genauso wie damals, konnte gar nicht anders, knöpfte meinen Pyjama zu, trat in den Vorraum und öffnete die Tür, vor welcher zwei Mittvierziger standen. Auf ihren Gesichtern lag die humorlose Fröhlichkeit von Menschen, die ihren Job ernst nehmen und viel Freude daran haben. Bevor ich ihnen sagen konnte, dass ich nicht an Gott glaubte und dies auch in Zukunft nicht vorhätte, waren sie bereits über die Schwelle getreten. Ohne mich dabei zur Seite gedrängt zu haben. Sie bewegten sich wie Muränen. Und atmeten wie Muränen. Wegen Gott waren sie nicht hier. Der eine mit der Lesebrille, über deren Rand er mir einen scharfen Blick zuwarf, zückte einen Ausweis, steckte ihn aber so schnell zurück, dass ich außer einer verwaschenen Fotografie nichts erkennen konnte.
    »Also, Szirba, jetzt schaun mir uns mal Ihre Geräte an.«
    Ich war doppelt verwirrt. Einmal, weil ich nicht wusste, was er mit Geräten meinte. Zudem verstörte mich eine solche Anrede, und ich bestand darauf, ein Herr Szirba zu sein. (Die Not – auch jene, im Nachtgewand vor diesen Männern zu stehen – war so groß, dass ich vergaß, dies alles schon einmal erlebt zu haben.)
    »Net renitent sein«, empfahl mein Gegenüber, »die Anrede können S’ getrost uns überlassen. Wer net zahlt, der ist auch kein Herr.«
    Ich verstand kein Wort, obwohl der Mann um eine deutliche, amtshandelnde Aussprache bemüht war.
    Fest entschlossen, diese beiden Gestalten hinauszuwerfen, sagte ich: »Verlassen Sie meine Wohnung«, allerdings so, wie man sagt: Ich gestehe alles. Kein Wunder also, dass sie sich nicht abhalten ließen und ins Wohnzimmer gingen, wo Angelika saß. Der größere der beiden, der bisher stumm geblieben war, stellte sich neben den Fernseher und legte triumphierend die Hand auf das Gerät. Gerät? Einen Moment war ich erleichtert. Dieser morgendliche Überfall war also nicht geschehen, um mich wegen des jämmerlichen Stückchens Marihuana hochzunehmen, von dem ich selbst nicht mehr genau wusste, hinter welchem Teil meiner Plattensammlung ich es versteckt hatte. Und diese Männer waren nicht hier, um zu eruieren, warum ich Tage zuvor in einem Favoritener Modehaus einen getragenen, jedoch einwandfreien Maßanzug unter die Stangenware gemischt hatte. Auch nicht wegen der paar Demonstrationen, an denen teilzunehmen meine Leidenschaft für Angelika mich gezwungen hatte. Es handelte sich allein um den Umstand, dass ich darauf verzichtet hatte, meinen Fernseher und mein Radio anzumelden. Ein Kavaliersdelikt,

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