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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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zwei nackte Frauen zu sehen, dickleibig und faltig, die sich mit einem Hund von ähnlichem Äußeren vergnügten, soweit man etwas derart Ekelhaftes als Vergnügen bezeichnen kann. Ich meine einen richtigen Hund. Was ist das für eine Welt? Und was ist das für ein Mensch, der einem solche Bilder zusteckt? Wahrscheinlich hatte er auch in die anderen Anzugtaschen solch perverse Bildchen gestopft.
    Mit einem Mal wurde mir klar, in welcher Situation ich mich befand. Keine zwei Meter von mir entfernt standen zwei Damen der Stuttgarter Gesellschaft, die sich über die Zukunft der Arbeitsgemeinschaft der regionalen ländlichen Freilichtmuseen unterhielten, während ich eine Abbildung in Händen hielt, die auf jedes halbwegs gesunde Gemüt die emetische Wirkung eines Brechmittels besaß. Schnell zerdrückte ich die Schweinerei und steckte sie ein. Dann sah ich ängstlich hinüber. Ich war noch einmal davongekommen. Die Damen kauten ungebrochen an ihren Brötchen.
    Ich machte mich auf die Suche nach diesem Bötsch. Ich wollte ihm unter vier Augen die Finger brechen – bildlich gesprochen. Denn dieses Individuum war das Letzte, das ich anfassen würde. Dort, wo Frau Holdenried die Salondame spielte, war er nicht mehr zu sehen, auch befand er sich in keiner der anderen Plauderrunden. Ich stieg eine Treppe hinauf zur Galerie, welche in eine verglaste Brückenkonstruktion mündete, über die ich in einen Seitentrakt des Gebäudes gelangte: Jetzt sah ich Bötsch. Bloß seinen Rücken. Aber die Gestalt war unverkennbar. Und auch seine leichtfüßige Bewegung, mit der er nun an zwei Personen vorbeischlich, deren Aufgabe es allerdings gewesen wäre, hier niemanden vorbeischleichen zu lassen. Ich erkannte sie, die junge Frau von vorhin. Dazu ein Typ in schwarzem Overall. Die beiden starrten in ein kleines Fernsehgerät, unterhielten sich, ohne ihren Blick von dem Gerät abzuwenden. Nicht aber der Hund, den ich jetzt hinter den Beinen der Frau erkannte, der Kampfhund, der am Eingang postiert gewesen war. Sein Schädel folgte der Bewegung Bötschs, wie dieser durch eine T-förmige Öffnung in den nächsten Raum verschwand. Aber er gab keinen Laut von sich. Komischer Hund. Dabei musste ich wieder an das Foto denken. Das sind genau die Bilder, die man nie wieder aus dem Kopf bekommt.
    Was war hier eigentlich los? Tagte der bewachte Vorstand der Denkmalschützer? Der schlecht bewachte. Was nicht neu ist – die mangelhafte Arbeit von Security-Leuten. Davon profitierte ich in der Regel. Davon, dass diese Leute zwar wie Panzer durch die Gegend rennen, aber nichts und niemanden schützen. Die geben sehr darauf acht, nicht in einer möglichen Schusslinie zu stehen. Wenn Bodyguards ums Leben kommen, hat das mit irgendeiner Schwäche der Attentäter zu tun.
    Allerdings würde es mir nicht wie Bötsch gelingen, unbemerkt zu bleiben. Ich war schwer und bewegte mich auch so. Und ich verstand es nicht, Hunde zu hypnotisieren. Er knurrte bereits in meine Richtung und hob den Hintern. Das taten auch Herr und Frau Leibwächter, die sich nun doch vom Fernseher losrissen und auf mich zukamen. Der Mann sagte etwas. Er versuchte, freundlich zu sein. Es gelang ihm aber nicht. Er erklärte, dass an dieser Stelle der Privatbereich beginne und er mich nicht durchlassen könne. Ich solle wieder hinuntergehen.
    Gut, hier kam ich nicht durch. Dann brauchten die beiden auch nicht zu erfahren, dass sich bereits jemand anders an ihnen vorbeigeschwindelt hatte. Ich nickte und trat den Rückzug an. Unten angekommen, begann mich die Neugierde zu quälen. Das mag verwundern. Einerseits mein Desinteresse an der Person, die ich demnächst töten würde, andererseits mein Bedürfnis, herauszubekommen, was dieser Bötsch im Schilde führte. Das war eben der Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit. Bötsch fiel unter die Freizeit, in der ich mir einiges erlaubte. Auch dass ich nun in meinen Mantel schlüpfte und aus dem Haus trat. Gegenüber dem Gebäude lag ein Waldstück, in das ich mich begab, durch den Schnee stapfend einige Höhenmeter bewältigte, mich auf einen Baumstumpf stellte und nun das Fernglas hervorholte. Ich habe immer ein solches Instrument bei mir. Es gibt kaum etwas Nützlicheres. Auch für Nichtjäger.
    Der Platz erwies sich als ideal. Trotz des Schneefalls und der Bäume hatte ich einen guten Ausblick. Der hohe Hauptraum war natürlich nicht zu sehen, da er hinunter in den Kessel der Stadt wies. Was ich erkannte, waren die erleuchteten Fenster des

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