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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Herr Köpple und seine Freunde über nichts anderes gesprochen haben als über die notwendige Koexistenz von Gehaltsforderungen und Gehaltskürzungen.«
    »Und wenn’s um etwas anderes ging, warum sollte ausgerechnet Sie das etwas angehen«, zischte Geislhöringer, »wir haben Sie nicht als Schnüffler beauftragt.«
    »Der Wein schmeckt merkwürdig.«
    »Bitte?«
    »Wollen Sie hören, was ich zu sagen habe?«
    Geislhöringer nahm sich zurück, als sei er persönlich für die Blässe dieses Weines zuständig, und sagte: »Ich bitte darum.«
    »Ich will nicht erklären, wie ich dazu kam. Aber ich habe einen gewissen Herrn Bötsch beobachtet, der sich genau als das versuchte, was Sie mir eben vorhielten: als Schnüffler. Leider an jener Tür, hinter der Ihr Chef mit einigen Herren geplaudert hat. Ich kenne Bötsch nicht, habe keine Ahnung, was diesen Menschen dazu treibt, so etwas zu tun. Ein Staatsschützer? Der Agent einer fremden Macht? Möglicherweise ist das nur ein Tick von ihm, überall seine Nase hineinzuhängen. Soziologischer Ehrgeiz? Ein Wurm in seinem Schädel? Sie wissen doch, dass der Mann mit Würmern sein Geld verdient. Stört mich nicht. Was mich stört, ist die Vorstellung, Herr Köpple könnte in diesem Moment über das Attentat gesprochen haben. Das würde unser Projekt gefährden. Das würde mich gefährden. Nur weil Ihr sogenannter Sicherheitsdienst einen eins neunzig großen Mann übersieht, der ungehindert in die Chefetage eindringt. Und wozu haben die einen Mörderhund, wenn er im entscheidenden Moment nicht mal mit den Ohren wackelt?«
    Ich machte eine kurze Pause, ließ das Gesagte wirken und fuhr in ruhigerem Tonfall fort: »Fragen Sie mich nicht, warum ich das alles beobachten konnte. Ich schnüffle nicht herum, aber ich überprüfe das Terrain, auf dem ich mich bewege. Ich bin ein schwerer, ungelenker, langsamer Südafrikaner und vertrage keine Überraschungen. Leider habe ich den Eindruck, dass unser verehrter Herr Bötsch äußerst erstaunt war über das, was er da zu hören bekam.«
    »Mist«, murmelte Geislhöringer.
    »Genau danach sieht es aus. Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, kontrollieren Sie den Raum, in dem Bötsch gestanden hat. Er hat da etwas aufgehängt. Eine kleine Engelsfigur.«
    »Dort hängen Engel.«
    »Genau. Und jetzt hängt da einer mehr. Eben der vom Bötsch. Links außen.«
    Geislhöringer schwieg. Er zündete sich eine Zigarette an, wie einer, der Tage zuvor damit aufgehört hatte und nun derart heftig inhalierte, als betreibe er eine Reinigung seines Blutes. Die Asche fiel auf den kahlen Betonboden. Geislhöringer rauchte zu Ende und bat mich, hier auf ihn zu warten. Er müsse sich einen Überblick verschaffen.
    Als er fünfzehn Minuten später zurückkam, war sein Überblick so weit gediehen, dass er sagte: »Wir haben tatsächlich ein Problem.«
    »Ein lösbares?«
    »Durchaus, Herr Jooß. Ich verspreche Ihnen, dass wir genau jenen Zustand herstellen werden, der für den reibungslosen Ablauf Ihrer Operation vonnöten ist. Aber es soll gesagt sein: Mir ist der Vorfall peinlich.«
    »Was ist mit dem Engel?«
    »Sie hatten recht. Eine Figur zu viel. Aber wir haben nichts gefunden. Kein Abhörgerät oder Ähnliches. Ziemlich mysteriös. Sie sind sicher, dass es sich um Bötsch handelt?«
    »Der Mann ist unverwechselbar.«
    »Sicher. Ich verlasse mich da ganz auf Ihre Augen. Ihre Augen sind ja wohl die allerbesten. Leider hatten Sie auch mit Ihrer Befürchtung recht. Genau zu der Zeit, da Bötsch im Nebenzimmer stand, um sein Figürchen anzubringen, wurde über die Sache Holdenried diskutiert.«
    »Max Köpple diskutiert ?«
    »Einige Herren mussten von der Notwendigkeit der Aktion überzeugt werden.«
    »Ist es nötig, so viele Leute reinzuziehen?«
    »Das hat Herr Köpple zu entscheiden. Aber ich verspreche Ihnen, es wird keine Pannen mehr geben.«
    Es verunsicherte mich, dass Geislhöringer mich in keiner Weise zu erklären drängte, wie ich zu meinen Beobachtungen gekommen war. Sollte er schlichtweg mein Gequassel bezüglich des Terrains akzeptieren? Wenn er das wirklich tat, dann bestimmt nicht Köpple. Natürlich hatte ich – aus Gründen der eigenen Sicherheit – erzählen müssen, was ich gesehen hatte. Aber ich war voreilig gewesen. Die ganze Sache wies unversehens einige Haarrisse auf. Und man kennt ja die Bedeutung von Haarrissen für die Historie der Katastrophen. Ich dachte über meinen Ausstieg nach. Aber das war Unsinn. Immerhin hatte ich

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