Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
offensichtlich hatte sein Vertrauen in die Polizei gelitten. Er bestand darauf, auf eigene Faust handeln zu müssen. Wofür ihm allerdings wenig Zeit bleibe. Man sei ihm auf der Spur.
Plötzlich schüttelte er den Kopf, als hätte er endlich bemerkt, wie absurd dieses Gespräch war, in dem er sich mir anvertraute, während ich, der Killer, ihm den Gang zur Polizei nahelegte.
Ich verlagerte unsere Plauderei, fragte ihn, wie er überhaupt auf die Idee komme, dass ein Mord geplant sei.
»Bötsch lebt. Noch«, sagte er, zum ersten Mal triumphierend. »Von ihm weiß ich, dass Frau Holdenried umgebracht werden soll. Das wird nicht zu verhindern sein, indem ich zur Polizei gehe, zur Zeitung, zum Fernsehen. Meine Frau ist beim Fernsehen, erzählen Sie mir also nichts. Der Mann, der hinter alldem steht, ist sicher nicht zu schaffen. Aber Sie sind es, sein Werkzeug.«
»Er hat wohl mehr als ein Werkzeug.«
»Nicht eines wie Sie, Jooß. Wir sind hier in Stuttgart, vergessen Sie das nicht. Warum, meinen Sie, müssen wir Leute aus Südafrika holen? In Europa ist der Dilettantismus zu Hause.«
»Sie reden wie ein Amerikaner.«
»Die haben nicht immer unrecht.«
Jetzt wollte ich es doch wissen. Ich fragte ihn, wer diese Frau Holdenried eigentlich sei und aus welchem Grund sie sterben müsse.
»Ich hör wohl nicht recht«, beschwerte sich der Österreicher. »Ich denke, Sie sind der Killer. Da wissen Sie doch wohl Bescheid über die Leute, denen Sie das Lebenslicht auspusten.«
»Was arbeiten Sie, Herr…?«
»Szirba. Ich bin Architekt.«
»Kennen Sie die Leute, für die Sie Häuser bauen?«
Er schüttelte den Kopf. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Szirba damit sagen wollte, dass er eigentlich nicht wirklich Häuser baute. Wahrscheinlich war er so eine Art Pianist ohne Klavier oder ohne Hände.
Ich bestand darauf, dass er mir von Frau Holdenried erzählen solle. Szirba kannte sie natürlich nicht persönlich, wusste aber ganz gut Bescheid. Dank der Medien, dank des öffentlichen Tratsches. Ich reimte mir also ein Bild zusammen, das folgendermaßen aussah: Annegrete Holdenried war wohl das, was man eine erfolgreiche Achtundsechzigerin nannte, also ein Mensch, den die Umstände des Lebens ohne gröbere Blessuren von der außerparlamentarischen Opposition zur Finanzberatung geführt hatten. Als solche – als Finanzberaterin – war Holdenried höchst erfolgreich und wurde Mitte der Neunzigerjahre in die Führungsetage von Köpple geholt. Der gerade erst verwitwete Max Köpple war entzückt von dieser geistig wendigen Dame, machte sie zur Sprecherin der Konzerngeschäftsleitung und dann auch zu seiner Lebensgefährtin. Ob sie Letzteres ganz freiwillig wurde, ist die Frage. Man darf sich nicht in die höchste Region der Gesellschaft wagen – quasi in die Todeszone – und sich dann über ein paar Unfreiheiten wundern. Aber wahrscheinlich wunderte sich die kluge Frau Holdenried auch gar nicht. Und es dürfte ihr zunächst keineswegs schwergefallen sein, sich in dieser sauerstoffarmen Region zu behaupten. Sie trug ihre tatsächlich beeindruckend langen Beine nicht anders als die Herren ihre Schlipse – scheinbar. Und sie war extrem erfolgreich. Derart, dass es sich von selbst verbat, diesen Erfolg in irgendeinen Zusammenhang mit ihren Beinen zu bringen (was ein Irrtum war, einer, den die Männer begingen, nicht Frau Holdenried, die sich in der Soziologie und anderen nützlichen Disziplinen auskannte).
Es war allgemein bekannt, dass sie beste Kontakte zur Politik unterhielt. Einige ihrer Jugendfreunde waren in wichtige Ämter aufgestiegen. Darunter ehemalige Staatsfeinde. Wenn man die Kerle jetzt sah, konnte man meinen, ein paar von den grausigen Tiefseefischen seien nach oben gezogen, um nun als elegante, ewig lächelnde Delfine über das Wasser zu segeln.
Man sagte der Holdenried nach, ihre Fühler würden bis in die Regierung reichen. Ihr wurde einiges nachgesagt, auch dass sie die eigentliche Kraft in Köpples Imperium sei.
»Was denken Sie? Warum soll ich diese Frau liquidieren?«, fragte ich nochmals.
Der arme Österreicher. Er war gekommen – ein Architekt mit einem befremdlichen Hang zur Courage –, um mich von etwas abzuhalten, das er für ein Verbrechen hielt. Er war nicht gekommen, um mir solche Fragen zu beantworten, sondern um das Gesetz in die Hand zu nehmen, um mich zu töten oder zu verletzen oder zu überzeugen, mich auf jeden Fall davon abzuhalten, meinen Auftrag zu erfüllen.
»Sie
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